„Auschwitz beginnt in Limburg“
Am 8.Mai 1945 endete in Deutschland der Zweite Weltkrieg. Gedenkarbeit an diese Zeit kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Die Peter-Paul-Cahensly-Schule (PPC) in Limburg bietet für ihre Schüler jedes Jahr eine Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz an.
Dreimal bot die PPC ihrer Schülerschaft diese Fahrt bereits an. Die letzten beiden Fahrten mussten Corona-bedingt ausfallen. Doch Sebastian Wendt, Lehrer für Politik, Wirtschaft und evangelische Religion sowie Projektleiter, hofft, dass im nächsten Jahr eine solche Fahrt wieder angeboten werden kann. Das Interesse der Schüler ist immer sehr groß und die Teilnahme ist auf 22 Teilnehmende begrenzt. Er sprach mit mir darüber, um auf die Arbeit aufmerksam zu machen und auch in diesem Jahr ein Zeichen zu setzen.
„Auschwitz beginnt in Limburg“
Der Gedanke für diese Fahrt kam Sebastian Wendt mit dem Aufstieg von Björn Höcke in der AfD, der meinte, dass sich die Gedenkkultur um 180 Grad gedreht werden müsste, denn es bräuchte sie nicht mehr. Dies hat Wendt so geärgert, dass er dem etwas entgegensetzen wollte. In der PPC bot er die Fahrt an und sie stieß auf große Resonanz. Dabei war er immer bestrebt, dass die Fahrt nicht isoliert im Kalender steht, sondern in einen größeren Kontext eingebunden wird. Daher legt die Schule auch großen Wert auf die Vorbereitung. „Auschwitz beginnt in Limburg“, so Wendt. Diese intensive Arbeit ermöglicht den Beteiligten einen tiefen Einblick in die unvorstellbaren Geschehnisse des Holocaust. Bevor es nach Polen geht, beschäftigen sich die Teilnehmenden intensiv mit der Biografie von Max Rosenthal, einem Limburger Bürger. Er war der letzte Hausmeister der Limburger Synagoge. Während seiner Frau und seinem Sohn die Flucht gelang, wurde Max in Auschwitz ermordet. Sein Stolperstein liegt in Limburg, Plötze 16. Eine Bereicherung ist es zudem, wenn die Schüler Kontakt zu den Nachfahren von Max Rosenthal haben. „Das war mit eines meiner tollsten Erlebnisse – der unverkrampfte Kontakt zwischen Enkeln von Max Rosenthal und meinen Schülern“, erinnert sich Wendt.

„Wir beschäftigen uns mit den Biografien von Personen, die in Limburg lebten und verfolgen dann ihren Weg, der in Auschwitz endete“, fasst Wendt die Arbeit zusammen, „Somit ist der Besuch von Auschwitz nicht nur eine Inselerfahrung, sondern die Schüler erfahren, dass es um Menschen geht, die in Limburg lebten.“ Nach einer intensiven Vorbereitungszeit, bei der sie auch den jüdischen Friedhof besuchen oder erste Zeitzeugen-Gespräche haben, geht es sieben Tage nach Polen – vier Tage nach Auschwitz sowie drei Tage nach Krakau. Neben der Besichtigung des Stammlagers und des Konzentrationslagers besuchen die Teilnehmenden in Krakau die Fabrik von Oskar Schindler. Durch das Schreiben von Tagebücher können Erfahrungen direkt festgehalten werden und dienen vor Ort wie auch später in der Schule zur Reflexion. Zu dieser Fahrt gehört in Auschwitz auch immer ein stilles Gedenken an Max Rosenthal und die anderen Limburger Opfer. „So schließt sich der Kreis“, so Wendt.
„Auschwitz ist nur das Ende“
Durch diesen Umfang der Auseinandersetzung lernt die interessierte Schülerschaft, dass Auschwitz nur das Ende war. Die Ausgrenzung begann bereits viel früher, vor der eigenen Haustür. So besuchte die PPC im Rahmen des Projektes auch das Eintracht-Frankfurt-Museum. Von heute auf Morgen wurden jüdische Spieler aus der Mannschaft geschmissen, durften an dem Sport nicht mehr teilnehmen. Die Menschen wurden systematisch getrennt und weil über die „Ausgestossenen“ nicht gesprochen wurde, gerieten sie in Vergessenheit. Und so ist diese Fahrt auch eine Sensibilisierung, dass auch heute noch immer Ausgrenzung stattfindet und jeder etwas dagegen tun kann. Daher ist Wendt auch der Besuch der Fabrik von Oskar Schindler so wichtig. Im Vorfeld der Reise schauen sie sich auch gemeinsam den Film „Schindlers Liste“ an und erfahren dann, wie es vor Ort war. „Damit zeigen wir, dass es in dieser Zeit auch Lichtblicke gab und das jeder Einzelne etwas tun kann“, so Wendt.

Für die 16- bis 17-Jährigen aus der 11. Jahrgangsstufe ist diese Fahrt immer sehr einprägsam. Dies merkt Sebastian Wendt, wenn er einige Jahre später nochmal mit ihnen ins Gespräch kommt. Denn es dauert nie lange, bis sie auf die Fahrt zurückkommen. Und so sind es auch die Schüler selbst, die bei Wendt für Aha-Momente sorgen. Es finden vor Ort immer wieder Reflektionen zum Gesehenen und Gehörten statt. So erhielten die Teilnehmenden die Aufgabe, einen Gegenstand zu suchen und eine Geschichte zu erzählen, die eine Verbindung zu dem erlebten schaffe. Ein Schüler kam mit einem Handy zurück und meinte, dies hätte den Insassen von Auschwitz damals gefehlt. Denn mit einem Handy hätten sie die Möglichkeit gehabt, Kontakt nach draußen zu bekommen und eventuell Hilfe zu erhalten. Und so fasst Wendt auch zusammen: „Das Beste ist immer, was von den Schülern kommt, weil das ist nicht vorhersehbar.“
Jugendfriedenspreis
Direkt nach der Fahrt findet in einer dreitägigen Projektwoche eine Nachbearbeitung des Erlebten statt. Mit Vorträgen und einer Ausstellung zur Arbeit machen die Teilnehmenden das Erlebte auch für die restliche Schülerschaft erfassbar. Die Eltern können dann ebenfalls erfahren, womit sich ihre Kinder beschäftigten und nehmen dies immer sehr positiv auf. Für diese Arbeiten gab es im Dezember 2020 auch den Jugendfriedenspreis des Landkreises Limburg-Weilburg verliehen. Und seit zwei Jahren ist die PPC zudem „Schule ohne Rassismus“.
Partner für die Fahrten ist das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund, welches als offizieller Träger die Bundesmittel beantragt. Die bisherigen Fahrten fanden in Kooperation mit Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit statt. Bei den nächsten Fahrten soll der Verein „Wir sind mehr Limburg-Weilburg“ Kooperationspartner werden. Und am Ende ist sich Wendt sicher: „Das ist mit das Wertvollste, was ich in der Schule mache.“