DGB-Podiumsdiskussion: „Der Markt regelt nicht alles“
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Im Juni machte der DGB Kreisverband Limburg-Weilburg bei einer 24-Stunden-Aktion auf die Problematik von fehlendem bezahlbarem Wohnraum und zu hohen Mieten aufmerksam. Eine Woche vor der Bundestagswahl wollte die Gewerkschaft von den Direktkandidaten wissen, wie sie zu dem Thema stehen und was ihre Lösungen sind.
In einer teilweise sehr hitzigen Diskussion konnten die Kandidaten der einzelnen Parteien gegenüber der Gewerkschaft ihre Positionen verdeutlichen. Während CDU und FDP keine Überschneidungen mit den Forderungen der Gewerkschaft hatten, gab es viele Übereinstimmungen mit den Kandidaten von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der Linken. Während CDU und FDP auf Bauen, Bauen und nochmals Bauen setzen sowie den Bürokratieabbau, damit sich jede Familie ein Eigenheim leisten kann, setzten die anderen Parteien eher auf einen Mietenstopp, auf Genossenschaften und mehr sozialen Wohnungsbau.
Was sind die Forderungen der Gewerkschaft?
Die Vorsitzende des DGB Kreisverbandes Limburg-Weilburg begrüßte zur Podiumsdiskussion am Freitagnachmittag auf dem Neumarkt in Limburg. Der Mietmarkt sei heiß gelaufen, bezahlbarer Wohnraum sei kaum noch zu finden und Corona habe die angespannte Situation noch verschärft. Daher haben sie speziell zu diesem Thema die Direktkandidaten eingeladen, um ihre Meinung dazu zu hören. Die CDU-Direktkandidaten Klaus-Peter Willsch und Markus Koob ließen sich entschuldigen und schickten Johannes Volkmann, Listenkandidat im Lahn-Dill-Kreis. Für die SPD kamen Martin Rabanus und Alicia Bokler, Anna Lührmann von den Grünen und Alexander Müller von der FDP waren dabei sowie die Linken-Kandidaten Valentin Zill und André Pabst.
Bevor es in die Diskussion ging, umriss Liv Dizinger (Abteilung Strukturpolitik beim DGB Hessen-Thüringen) thematisch das Thema.
Bezahlbarer Wohnraum in Hessen ist Mangelware und die Preise sind explosionsartig angestiegen. „Besonders hart trifft es Randgruppen wie Obdachlose, Frauen und Kinder, die vor häuslicher Gewalt geflohen sind oder Behinderte“, so Liv Dizinger, „diese Menschen haben keine Chance, staatliche Einrichtungen zu verlassen, weil sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden.“ Zu viele Haushalte geben mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Das sei zu viel, denn dann bleibe nicht mehr viel für das Leben übrig. „Die soziale Ungleichheit hat sich in der Coronakrise noch verschärft“, so Dizinger weiter.
Probleme reichen bis in die 80er
Die Probleme sind nicht neu, sondern reichen bis in die 80er Jahre zurück, als sich der Staat aus der sozialen Wohnraumförderung zurückgezogen hat. In den 90er Jahren wurde die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau aberkannt und es ging mehr und mehr Richtung Privatisierung. Von damals 200.000 Sozialwohnungen gibt es heute nicht mal mehr 80.000 und sie sinken weiter, zeigt Dizinger in Zahlen auf. „Es ist Zeit für einen Politikwechsel“, so Dizinger und stellt ihre Forderungen vor. Das Menschenrecht auf Wohnen muss sichergestellt werden und es bedarf mehr Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und mehr Schutz der Mieter.
Die Kommunen brauchen finanzielle Mittel, um im Wohnungsbau tätig zu werden. Zudem regt sie die Gründung von Wohnungsbaugesellschaften an. Die Gewinne der Wohnungsbaugesellschaften müssen wiederum in die Instandhaltung sowie Sanierung der Wohnungen fließen. Zudem muss generationenübergreifendes Wohnen und auch barrierefreies Wohnen viel stärker gefördert werden. Zudem müssen Bodenspekulationen bekämpft und das Personal in den Bau- sowie Planungsämtern aufgestockt werden. Allein in den letzten fünf Jahren seien die Mieten um bis zu 14 Prozent angestiegen. „Wir erwarten für der künftigen Regierung einen Mietenstopp“, so Dizinger zum Ende, „die Mieter benötigen eine Atempause.“

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Antwort an den Forderungen vorbei
An den Forderungen vorbei ging zunächst das Statement des CDU-Politikers Johannes Volkmann. Die CDU plädiere dafür, mehr Bauland zu entwickeln. Damit Familien schneller bauen können, bräuchten sie steuerliche Anreize. Und die Planungsverfahren müssten kostengünstiger gestaltet werden. Er plädierte insgesamt für eine Entbürokratisierung des Bauens. Als er darauf hingewiesen wurde, auf die Forderungen der Gewerkschaften einzugehen, äußerte er ein klares Nein gegen die Mietpreisbremse. Eine Mietpreisbremse würde dazu führen, dass Investitionen gestoppt werden. Zudem sei diese unsozial für Menschen, welche Wohnraum als Altersvorsorge haben.
Der FDP-Kandidat Alexander Müller sieht es ähnlich. „Wir müssen bauen, bauen, bauen.“ Es müsse mehr Wohnraum geschaffen werden, dann kämen auf eine Wohnung auch nicht mehr 100 Bewerber. Zudem müssten die Menschen mehr Zugang zu einem Eigenheim haben, welches sie als Altersvorsorge bauen. „Jeder Eigenheimbauer macht Mietwohnungen frei“, so Müller. Auch ein Mietenstopp sei für ihn nicht die Lösung. „Die meisten Vermieter sind Privatleute und leben als Rentner von den Mieten. Ein Mietendeckel führt dazu, dass diese ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können.“ André Pabst von der Linken konnte es sich hier nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass dann mit dem Rentensystem nicht alles gut laufe.
Markt regelt nicht alles
Die Kandidaten der SPD wiesen darauf hin, dass der Markt nicht alles regelt. In den letzten Jahren habe die Regierung den Bau von 25.000 Wohneinheiten im Jahr gefördert. Dabei sei die SPD von ihrem Koalitionspartner auch ausgebremst worden, so Rabanus. Mit einer SPD-geführten Regierung soll diese Förderung auf 100.000 Wohneinheiten pro Jahr ansteigen. Eine Mieterhöhung dürfe nur noch im Rahmen der Inflation stattfinden. Es sei falsch, wenn sich die öffentliche Hand komplett aus dem Wohnungsmarkt zurückzieht. Alicia Bokler ergänzt, dass die Wohnungsnot nicht mehr nur Randgruppen betreffe, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Für Anna Lührmann von den Grünen ist die Wohnpolitik eine drängende soziale Frage. Die Grünen möchten eine wirkungsvolle Mietpreisbremse und Erhöhung von maximal 2,5 Prozent. Es bedarf mehr günstiger Mietwohnungen und der Staat darf sich aus dem Wohnungsbau nicht mehr zurückziehen. Wohnraum darf nicht mehr Spekulationen unterworfen sein. In Anbetracht der Klimakrise muss flächensparend gebaut werden, also in die Höhe statt in die Breite, und mit recyclingfähigen Materialien. Zudem sprach sie das Thema „faire Wärme“ an. Nicht nur die steigenden Mieten seien ein Problem, sondern auch die steigenden Nebenkosten oder die Umlagen, falls ein Vermieter Wohnraum energetisch saniert.
Zuspruch für ihre Forderungen erhielt der DGB ebenfalls von den Linken. Das Gemeinwohl müsse über dem Profit stehen und der Staat müsse regulierend in den Markt eingreifen. Die Mieterbenötigen mehr Rechte, damit ein Mieter bei einer Kündigung nicht auf der Straße landet. Zill ist zudem für eine Deckelung der Bodenpreise und die CO2-Steuer müsse der Vermieter und nicht der Mieter tragen.
„In den letzten Jahren hat sich nichts getan“
Sehr interessant war der Einblick von Harry Fenzl von der Wohnungslosenhilfe der Caritas. Er kann direkt berichten, wie es vor Ort aussieht und er weiß, dass die Wohnungsnot die Mitte der Gesellschaft erreicht habe. In Limburg gebe es derzeit 120 Menschen ohne Mietvertrag. In der Beratungsstelle sind 20 Prozent der Hilfesuchenden Frauen und rund 12 Prozent unter 25 Jahre. Und er gehe davon aus, dass es noch eine Dunkelziffer gebe. Er habe schon viele Wahlen erlebt und Wohnen war immer Thema. „Aber es hat sich in den letzten Jahren nichts getan“, so Fenzl. Der Wohnungsmarkt ist lukrativ für die Investoren und daher bedarf es in seinen Augen einer staatlichen Fürsorge. „Wir brauchen eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft auf Kreisebene“, so Fenzl weiter. Auch Viktoria Spiegelberg-Kamens kann vom Rand der Gesellschaft erzählen. Im Frauenhaus seien 70 Prozent der Frauen, die ausziehen könnten, wenn es bezahlbaren Wohnraum gebe.
Die Diskussion zeigte ganz klar, welche Parteien die Forderungen der Gewerkschaft unterstützen und wo es keinen Konsens gab. Doch Spiegelberg-Kamens fasste es am Ende sehr gut zusammen: „Lieber eine Haltung haben, über die ich streiten kann, als gar keine Haltung zu haben.“
Der DGB begleitet den Bundestagswahlkampf überparteilich. Er vergleicht die Wahlprogramme der Parteien im Wahlcheck. Im Vergleich stehen die gewerkschaftlichen Schwerpunktthemen Arbeit, Bildung, Mitbestimmung, Pflege, Rente, Wohnen, Staat und Klima -> hier geht es zum Wahlcheck des DGB