„Hätte gerne für jeden Patienten fünf Minuten mehr“

Den Auftakt zum Landeswahlkampf gestaltete der Kreisverband Limburg-Weilburg mit einer Podiumsdiskussion zum Thema Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. In dem Format „Politik trifft Praxis“ gab es viele Wünsche, was zu einer Verbesserung der Lage führen könnte. 

Chefredakteur Uwe Röndigs von der NNP-WT moderierte die Podiumsdiskussion mit Janine Wissler, Parteivorsitzende Die Linke, Christiane Böhm, Vorsitzende die Linke Hessen, Andreas Ahlbach, Inhaber Pflegedienst Ahlbach sowie Dr. Walter Valeske, Aufsichtsrat Ärztenetzwerk Piano. Vieles laufe nicht gut und manchmal seien es einfach fünf Minuten pro Patient mehr, um die Situation zu verbessern. Doch nicht nur die Zeit sei eine Baustelle. Der Zugang zum Medizinstudium mit dem hohen NC, die hohe Bürokratie, die Gewinnmaximierung im Gesundheitswesen oder auch der fehlende Wert für das menschliche Miteinander waren einige Punkte, welche von den Diskussionsteilnehmern kritisiert wurden.

Umbau des Systems

Wenn man den beiden Linken-Politikerinnen zu hört, sind es keine kleinen Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, um etwas am System zu verbessern. Vielmehr sind es große Umwälzungen, die an dem Abend in Elz gefordert wurden. Hartz4 lehnt Janine Wissler ab, das System sei nie richtig gewesen. Das nun folgende Bürgergeld sei auch nicht so toll. „Wir brauchen eine sanktionsfreie Existenzsicherung für die Menschen“, so Wissler, die auf 1,4 Millionen Menschen blickt, die in Armut leben.

Von der Rente mit 67 hält sie auch nicht viel, weil in vielen Berufen die Menschen überhaupt nicht in der Lage sind, so lange zu arbeiten. Sie nehmen dann Rentenkürzungen in Kauf. „Armut macht krank und Krankheit macht arm“, darin sieht die Bundespolitikerin einen engen Zusammenhang. Sie möchte die Privatisierung im Gesundheitssektor aufheben, denn es darf nicht sein, dass mit der Gesundheit Geld verdient werden. Die Fallpauschalen sind der falsche Weg und auch die 2-Klassen-Medizin gehört abgeschafft. Deutschland brauche eine Bürgerversicherung.

Verschiebung von Problemen

Im aktuellen System verschieben sich die Probleme nur. Die Menschen erhalten keinen Facharzttermin, gehen irgendwann in die Notaufnahme, wo sie aber nicht hingehören. Die Wege werden immer länger und Bereiche werden geschlossen, weil sie keinen Gewinn erzielen. Und sie wünscht sich bessere Arbeitsbedingungen und mehr Wertschätzung für die Pflegekräfte.

Christiane Böhm vermisst in Hessen einen Strukturplan für die Gesundheitsversorgung. Was benötigen die Menschen vor Ort? „Wir brauchen dezentrale Geburtsstationen, aber nicht in jedem Krankenhaus muss eine Knie-OP möglich sein“, so Böhm. Es brauche einen besseren Pflegeschlüssel und Pflegekräfte sollten viel stärker in Entscheidungsprozesse mit eingebunden werden. Zudem brauche es eine Altenhilfeplanung, um einfach zu schauen, was notwendig ist vor Ort. Auch die Beratung zu Pflegediensten muss vielmehr Raum einnehmen. Wenn alte Menschen keinen Pflegedienst finden, landen sie oft unterernährt und dehydriert im Krankenhaus. Aber dies sei eigentlich nicht Aufgabe des Krankenhauses.

5 Minuten mehr pro Patient

Interessant war der Blick in die Praxis. Andreas Ahlbach zeigte auf, dass jeder Handgriff am Patienten zeitlich getaktet ist und alles was messbar ist, kann abgerechnet werden. Doch das Zwischenmenschliche, die Frage nach dem Befinden kann nicht in Zeit gepackt werden, ihm kann kein Wert zugemessen werden, er kann diese Leistung nicht abrechnen. Daher fordert er: „Ich hätte gerne fünf Minuten mehr Zeit pro Patient“. Es kann nicht sein, dass das menschliche Mitgefühl nicht greifbar sei. Daher möchte er auch nicht an einzelnen Schrauben drehen, sondern plädiert für einen Systemwechsel. Der Mensch müsse wieder in den Mittelpunkt rücken und nicht die Leistung. In anderen Ländern, vor allem in Nordeuropa, würde dies doch auch klappen. Als Leiter des Palliativnetzwerkes weiß er, dass dies möglich ist. Denn in der Pflege am Lebensende, im palliativen Lebensabschnitt gelten diese Taktungen nicht, er habe mehr Freiheiten sowie weniger Bürokratie.

Zudem könne Ahlbach sich vorstellen, dass die Pflegedienste stärker zusammenarbeiten. Als Pflegedienst müsse er eine 24-Stunden-Rufbereitschaft bereithalten. Warum könne man nicht eine Rufbereitschaft für alle Pflegedienste zusammen ins Leben rufen? Also mehr in die Vernetzung gehen?

Bürgerversicherung richtige Weg

Auch der Medizinier Dr. Walter Valeske, eigentlich CDU, plädierte für eine Bürgerversicherung. Die Unterteilung in Privat- und Kassenpatienten finde er schlimm. Es werde seid Jahren vom Abbau der Bürokratie geredet, doch es passiert nichts. Und die Zahlen für das Medizinstudium sollten dringend erhöht werden, um auch in Zukunft die medizinische Versorgung zu gewährleisten. Dies ginge nur durch Abschaffung des NC.

In der anschließenden Diskussion kamen noch einige interessante Anregungen aus dem Publikum. So meinte ein Zuhörer, nicht der Gewinn sollte Maßstab sein, sondern der Patient. Und ein weiterer Zuhörer fragte, wie sich das Pflegesystem aufstellt, wenn immer mehr Singles oder kinderlose Paare in Rente gehen, die niemanden zum pflegen haben.

Zusammenfassend meinte Christiane Böhm am Ende, dass es zwar genügend Geld im Gesundheitswesen gebe, dieses aber falsch verteilt sei. Das Gewinnerziehungsgebot müsse wieder aufgehoben werden. Und es bräuchte nicht so viele gesetzliche Krankenversicherungen. „Das Geld sollte bei den Patienten ankommen und nicht in den Taschen der Aktionäre“, so Böhm. Und Janine Wissler möchte den NC abschaffen, eine bessere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ebenen sowie eine Aufhebung der „menschenunwürdigen“ Zeiteinteilung.

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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