„Hätte ich kompromissbereiter sein müssen?“- Warum die Aufarbeitung der DDR-Geschichte wichtig ist

Am 17.Juni 1953 fand ein Volksaufstand in der ehemaligen DDR statt. Von 1954 bis zur Wiedervereinigung war dies in der BRD der Nationalfeiertag und ist bis heute Gedenktag. Dies nahm der Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch zum Anlass, um mit Roland Jahr, den Beauftragten für die Stasi-Akten über seine eigene Geschichte zu sprechen und auch darüber, warum Aufarbeitung so wichtig ist. 

Am 17. Juni 1953 gingen in der ehemaligen DDR die Menschen auf die Straße, um für ihre Freiheit zu kämpfen. Die Sowjetarmee schlug diesen gewaltsam nieder, 34 Demonstranten starben (Quelle Wikipedia) „Was am 17. Juni geschah, hat die SED-Führung nachhaltig traumatisiert, denn sie hatten es nicht kommen sehen“, so Klaus-Peter Willsch zur Begrüßung. Dies habe dazu geführt, dass sich die Staatssicherheit, kurz Stasi, dermaßen verschärft hatte, weil so etwas nie wieder passieren sollte.

Auswirkungen immer auf das gesamte Umfeld

Wie sich dieses System der Stasi dann in alle Gesellschaftsschichten ausbreitete und sogar bis in Familien hineinging, stellte Roland Jahn, Beauftragter der Stasi-Akten, in der DDR Geborene und Zwangsausgebürgerter, sehr eindrucksvoll dar. Es sei ein System gewesen, welches auf Angst, Repressionen und Erpressungen beruhte. Niemand konnte sagen, ob er bespitzelt wurde und durch wenn. Und wenn es für jemanden aufgrund von unerwünschten Aktivitäten Strafen gab, betraf es nie nur die Person alleine, sondern hatte Auswirkungen auf die gesamte Familie. So fragt sich Jahn bis heute: „Hätte ich kompromissbereiter sein müssen, damit meine Eltern ein gutes Leben haben?“ Als er sich als junger Student dazu entschied, seine Meinung zu äußern und bei den Volkskammerwahlen geheim und gegen die Volkskammer zu wählen, wurde er als Staatsfeind betrachtet und aus der DDR verwiesen. „Es war nur eine halbe Freiheit, denn ich musste meine Familie und meine Heimat verlassen“, so Jahn. Aber auch seine Eltern mussten Einbußen hinnehmen, denn sie wurden in ihrem Lebensstil eingeschränkt. (Mehr zur Biografie von Roland Jahn)

Als sich damals seine Studienkollegen gegen ihn stellten, obwohl sie ihm vorher ihre Unterstützung zusagten, waren sie für ihn erstmal Verräter. Als er sich später mit den Stasi-Akten beschäftigte, musste er erkennen, dass die Stasi enormen Druck auf sie ausübten, damit sie sich so verhielten. Und natürlich stellt er sich die Frage, ob er die Kraft gehabt hätte, anders zu handeln oder ob er genauso wie seine Kollegen gehandelt hätte. Es sei ein perfides System gewesen, doch „wir haben es auch ein wenig verdrängt, sonst hätte man sich verrückt gemacht.“

Erinnern für eine freie Demokratie

Es sei noch nicht so lange her, dass es in einem Teil von Deutschland eine Diktatur gegeben habe, so Jahn weiter. Und daher sei das Erinnern so wichtig, denn die freie Demokratie sowie die Freiheit, welche wir heute haben, sind ein kostbares Gut, für welches täglich gekämpft werden muss. „Es ist ein großes Glück, dass die Mauer gefallen ist“, so Jahn, „denn Familien konnten sich wieder begegnen.“ Daher sollte sich jeder bewusst werden, wie es war, um zu schätzen, was er jetzt hat.

Natürlich könne er auch verstehen, wenn nicht jeder Einsicht in seine Stasi-Akte haben möchte. Denn eventuell zu erfahren, dass man von einem besten Freund bespitzelt wurde, kann auch nicht immer gut für einen sein. Dennoch sei es eine gesamtdeutsche Aufgabe, die Stasi-Akten und somit die Geschichte aufzuarbeiten. Und dabei achten er und seine Mitarbeiter sehr genau darauf, ob jemand aus Druck und Angst gespitzelt hat oder aus Überzeugung. „Wer gegen Menschenrechte verstoßen hat, muss zur Rechenschaft gezogen werden“, so Jahn, „sonst bereiten wir nur den Nährboden für neue Menschenrechtsverletzungen.“

Und in der Aufarbeitung ist bereits viel geschehen. 1,6 Millionen Blätter wurden schon aufgearbeitet. 15.000 Säcke zerstörter Akten warten noch darauf, zusammengepuzzelt zu werden. Jeden Monat kommen an die 4.000 Anträge auf Akteneinsicht. Derzeit gibt es 31.000 offene Anträge und die Wartezeit beträgt rund zwei Jahre.

Ein wenig schade waren die fehlende junge Generation an diesem Nachmittag. Auch die müssen wissen, was damals geschehen sei. Doch Jahn erzählte davon, dass schon großes Interesse vorherrscht und viele Fragen kommen, wenn er an den Schulen unterwegs ist und seine Geschichte erzählt. Und auch da fragt er immer wieder: „Wie hättet ihr euch verhalten?“

 

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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