Hindernde Strukturen beseitigen für vollständige Inklusion

Luise Konrad-Schmidt, Leiterin der Albert-Schweitzer-Schule, beschäftigt sich bereits ihr ganzes Leben mit dem Thema Inklusion. Ihr Wunsch ist es, dass Inklusion kein Thema mehr sein müsste. Doch ihr ist bewusst, dass dies aktuell noch illusorisch ist. Zudem habe Corona vieles ausgebremst. Die Gesellschaft sei schonmal weiter gewesen.

„Es kann keine umfassende und vollständige Inklusion geben, solange es trennende Einrichtungen gibt“, so Luise Konrad-Schmidt im Gespräch. Bereits im Kindergarten sollten alle Kinder zusammenkommen und danach in der Schule nicht wieder getrennt werden. Dies ist ein Wunsch von Konrad-Schmidt, welchen sie äußert.

Stärkende Gemeinschaft

Dabei geht es in ihren Augen gar nicht darum, dass die Kinder alles zusammen machen müssen. Aber sie sind eine Gemeinschaft, die den Tag gemeinsam beginnt und dann in Kleingruppen weiter arbeitet. „Es ist eine Bereicherung für alle“, ist sie sich sicher. Dazu gehört für sie auch, nicht die Menschen darauf zu reduzieren, was sie nicht können, sondern das hervorheben, was sie schaffen. Dieses positive Bestärken tut allen gut, am Ende auch der Gesellschaft. Doch leider ist die Realität eine andere. „Die Welt wird ein bisschen besser, wenn wir mehr positiv agieren“, so Konrad-Schmidt, „aber produzieren wir doch täglich die Spaltung der Gesellschaft.“ Das geht bei uns Menschen los, wie wir unseren Gegenüber betrachten und setzt sich fort in Handlungen, Gesetzen, Mobilität wie auch baulichen Beschaffenheiten. Und für jeden Punkt kann sie Beispiele nennen.

Möchte ich ohne Beeinträchtigungen den Zug nehmen, kaufe ich mir ein Ticket und buche mir eventuell noch einen Sitzplatz. Möchte jemand mit Rollstuhl den Zug nehmen, muss er diese Fahrt anmelden und sich um eine Einstiegshilfe kümmern. „Für Menschen mit Beeinträchtigungen gibt es keine freie Mobilität“, so Konrad-Schmidt. Sie empfiehlt, mal mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen und zu schauen, welche Geschäfte und Cafés wirklich barrierefrei sind.

Fehlende Barrierefreiheit

Die meisten haben eine Stufe vor dem Eingang. Weiter geht es bei den Arztpraxen. Die meisten sind nicht barrierefrei und liegen nicht im Erdgeschoss. Es sind Dinge, welche uns täglich begegnen, wo sie froh ist, nicht im Rollstuhl zu sitzen. Dabei findet sie es wichtig, sich dafür einzusetzen, darauf aufmerksam zu machen und für Veränderungen zu kämpfen, denn „es kann jeden Tag die Situation kommen, dass wir auf einen Rollstuhl angewiesen sind“. Doch die meisten Menschen blenden diese Möglichkeit einfach aus.

Einen dritten Punkt, den sie anspricht, ist die Unterstützung für Familien, in denen Menschen mit Beeinträchtigungen leben. Ihre Meinung nach sollten diese Familien alle Hilfsmittel erhalten, die sie zu einem guten Leben benötigen. Dazu gehört neben der direkten Hilfe auch die psychologische Beratung der Eltern. Doch häufig werden diese allein gelassen und müssen schauen, wie sie sich in dieser Situation orientieren. Da gibt es in Deutschland keine einheitlichen Strukturen, doch genau solche wären ein guter Schritt. Leider ist die Unterstützung noch zu wenig und oftmals das Thema tabuisiert. Denn wenn sich jemand mit dem Thema auseinandersetzt, muss er sich eventuell auch mit dem Gedanken seiner eigenen Verletzlichkeit auseinandersetzen. Dies mache den Menschen Angst.

Keine Förderschulen mehr

Sie setzt sich schon lange auf verschiedenen Ebenen für Inklusion ein. Ihre „Erweckung“ hatte sie mit 16 Jahren. Als Betreuung begleitete sie Schüler der Förder- und Sonderschule Fröbelschule Altendiez nach Juist. Da wurde ihr klar, was sie werden möchte und sie studierte später dann Lehramt für Sonder- und Heilpädagogik. Daher weiß sie auch, dass sich bereits vieles getan hat in dem Bereich. Früher wurden Kinder mit Beeinträchtigungen sehr stigmatisiert und wenn jemand der Meinung war, sie gehören auf eine Sonderschule, dann konnten die Eltern dem nicht widersprechen. Doch die Eltern erstritten eine Änderung des Schulgesetzes und 2011 empfahl die Kultusministerkonferenz die „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in Schulen“, um die Grundlage für ein höchstmögliches Maß an gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an Bildung zu schaffen (Quelle Kultusministerkonferenz).

In Berlin wurde dies sehr früh flächendeckend eingeführt und ist inzwischen überall in Deutschland zu finden. Noch schöner wäre es laut Konrad-Schmidt, wenn die Inklusion auf allen Ebenen so weit fortschreiten würde, dass perspektivisch keine Förderschulen mehr nötig wären. In Südtirol gelinge dies bereits. Es sind solche Schritte, welche die Gesellschaft auf einen guten Weg bringen. Und neben diesen Dingen gehört für sie auch dazu, sich stetig selbst zu reflektieren und sich selbst zu fragen, wie man sich die Gesellschaft wünscht. Und dann habe jeder die Möglichkeit, etwas dafür zu tun. „Es sind unsere Mitmenschen mit verbrieften Menschenrechten“, so Konrad-Schmidt und daher gehören sie mitten in unsere Gesellschaft dazu.

 

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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