Jörg Sauer und Verena Nijssen: „Auf den Alltagsrouten fehlt einiges“

Seit zwei Jahren ist der Nahmobilitäts-Check Thema im Landkreis. Hierbei handelt es sich um ein zertifiziertes Planungsverfahren zur Stärkung der Fuß- und Radwege. Dieser liegt nun vor und mit dem Ersten Kreisbeigeordneten Jörg Sauer und der Klimaschutzmanagerin Verena Nijssen sprach ich darüber. Was läuft gut im Landkreis? Wo sind Schwächen? Und wie geht es jetzt weiter?

Besonders in diesem Jahr nahm die Bedeutung für das Thema Radwege zu – einmal gab es im touristischen Bereich einen starken Anstieg an Radfahrern, aber auch im normalen Bereich nahmen die Radfahrer zu. In dem Nahmobilitäts-Check sind Nahmobilitätsziele definiert. Zu den relevanten Zielen zählen die verschiedenen Arbeitsplatzstandorte, weiterhin die Schulen und Bildungszentren, Einkaufsstandorte sowie die medizinische Versorgungsinfrastruktur. Weitere relevante Ziele sind Begegnungsstätten, Bürgerhäuser, Alteneinrichtungen sowie die Verknüpfungspunkte mit dem ÖPNV.

Was ist der Nahmobilitäts-Check?

Was ist der Nahmobilitäts-Check und wie lange habt ihr daran gearbeitet?

Jörg Sauer: Der Kreistag hat bereits 2018 beschlossen, ein Rad-Verkehrskonzept zu erstellen. Die Grundlage für ein solches Konzept ist der Nahmobilitäts-Check. Dieser Check sollte bereits im letzten Jahr beginnen, doch es war schwierig ein Büro zu finden, da diese alle ausgelastet waren. Zum Glück haben wir ein Büro gefunden und wollten den Nahmobilitäts-Check in der ersten Hälfte diesen Jahres vorstellen. Leider kam dann Corona, daher sind wir mit dem Ganzen so fünf bis sechs Monate im Verzug.

Dann wird es doch in der aktuellen Situation zu einer weiteren Verzögerung kommen, wenn die Kreisgremien aktuell nicht tagen?

Jörg Sauer: Wir rechnen mit einer Verzögerung von vier bis fünf Wochen. Wir müssen den Nahmobilitäts-Check jetzt beschließen, weil wir weitere Fördermittel geltend machen wollen. Wir wollen ein großes Konzept für den ganzen Landkreis aufstellen und dafür brauchen wir als Grundlage einen beschlossenen Nahmobilitäts-Check.

Stärken im Fuß- und Radwegesystem

Welche Stärken im Fuß- und Radwegesystem haben sich in dem Check für den Landkreis ergeben?

Jörg Sauer: Wir müssen dies ein wenig unterscheiden. Zum einen, wie werden die bestehenden Strukturen angenommen. Und da sind wir richtig gut. Wie hier gefahren wird und wie die Radwege angenommen werden, dies ist schon sensationell. Und der Tourismus wurde in diesem Jahr auch enorm angekurbelt.

Vera Nijssen: Im touristischen Bereich sind wir sehr stark. Aber auf den Alltagsrouten fehlt noch einiges an Netz. Innerhalb der Stadt Limburg gibt es einige Bemühungen, die Infrastruktur für den Radverkehr zu verbessern. Die Radverkehrswegweisung ist zufriedenstellend und im ausreichenden Maße vorhanden. Einige Gemeinde wie Elbtal oder Weilburg setzen eigene Konzepte um. Einige Bahnhöfe sowie die Schnellbusstation und Pendlerparkplätze funktionieren bereits als Verknüpfungspunkte zwischen den Verkehrsmitteln und der Nahmobilität. Der Bedarf ist vorhanden und es besteht eine Verknüpfung zwischen dem Radverkehr und dem ÖPNV. Dies ist auch eines der Themen, welches für den Check bedeutend war. Es ging uns nicht nur um das Thema Radverkehr allein, aber auch um die Verknüpfung zum ÖPNV. Diese Anknüpfungen sind an der gesamten Bahnlinie sehr gut. Da merkt man, dass der Zuspruch zu den Bahnhöfen immer größer wird. Da haben sich auch einzelne Kommunen bereits auf den Weg gemacht und Konzepte erstellt. Daher war es uns bei dem Check auch wichtig, zu schauen, was bereits vorhanden ist.

Was sind die größten Schwächen im Radwegenetz des Landkreises?

Verena Nijssen: Es fehlt oft an Alltagswegen, an Verbindungen zu den Arbeitgebern und Schulen. Das ist sehr divers. Weiterhin gibt es im Alltagsverkehr Lücken zwischen den Gemeinden des Landkreises. Dies ist auch topografisch bedingt, zum Westerwald hin wird es weniger und die Lahn ist touristisch super ausgebaut. Häufig haben wir ein Platzproblem, denn in den Wegen fehlen die nötigen Breiten, um den Alltagsverkehr zu erfassen. Bei zu wenig Platz kommt es zu Konfliktsituationen.

Jörg Sauer: Einige der alten Wege wie der Weiltalweg entsprechen nicht mehr den heutigen Standards. Da müssen wir jetzt ran. Bereits jetzt werden verschiedene Radwege geplant.

Strukturen für Pendler

Wie sieht es für die Pendler mit den Strukturen aus? Nehmen diese ihre Räder in den Zügen mit oder haben sie Möglichkeiten, diese sicher an den Bahnhöfen anzuschließen?

Verena Nijssen: Das ist unterschiedlich. Am ICE-Bahnhof und in Limburg gibt es gute Abstellmöglichkeiten mit Fahrradboxen. Diese werden gut angenommen und die Erfahrungen sind gut. Allerdings sind diese total ausgebucht. Der Bedarf ist größer als das Angebot, so dass Erweiterungsbedarf besteht. Inzwischen gibt es auch die Initiative zusammen mit der Deutschen Bahn, um da mehr auszubauen. Die Fahrräder, unabhängig von den E-Bikes, werden immer teurer und die möchte niemand offen irgendwo stehen lassen, sondern vernünftig abschließen. Dies kam auch bei den Workshops raus, dass ein hoher Bedarf besteht und ein Gesamtkreiskonzept erstellt werden muss. Bisher haben wir die einzelnen Bedarfe nicht analysiert. Unser Check ist erstmal der Einstieg zu dem Thema. Wir können noch nicht genau sagen, wieviel Boxen vor Ort benötigt werden.

Es fanden zur Erstellung des Nahmobilitäts-Checks zwei Workshops statt. Wer war daran beteiligt?

Verena Nijssen: Die Politik mit dem Ausschuss für Raumordnung, Wirtschaft und Verkehr und verschiedene Verbände wie ADFC, Verkehrswacht, VCD. Dann die entsprechenden Ämter aus dem Landkreis für Kreisstraßen, Tourismus, Klimaschutz sowie Fridays for Future. Die Verwaltungen der Kommunen wurden angesprochen. Aufgrund der Corona Pandemie konnten die Workshops nicht wie geplant stattfinden und der Personenkreis musste stark eingeschränkt werden. Wir hätten gerne mehr Öffentlichkeitsbeteiligung und Bürger integriert. Es wäre spannend gewesen, die Perspektive von weiteren aktiven Radfahrern zu erhalten.

Ist der ÖPNV mit einbezogen? Eine Verbindung wird gestärkt und aktiv genutzt. Dann stehen die Radfahrer am Bahnsteig und nicht alle können mitgenommen werden. Dies kam in der Vergangenheit bereits vor. Sind diese mit im Boot?

Verena Nijssen: Beim Nahmobilitäts-Check nicht, weil der Schwerpunkt auf dem Radverkehr liegt. Wir hatten den VLDW aber inhaltlich bereits mit eingebunden. Beim Radverkehrskonzept kommt das Thema sicher nochmal mit zum Tragen. Das könnte der Schlüssel zum Erfolg sein, wenn man Alltagspendler über längere Strecken haben möchte. Das funktioniert von Weilburg nach Limburg oder Limburg nach Frankfurt schon ganz gut, aber es könnten noch mehr sein, wenn die Kapazitäten ausgebaut werden. Aber dabei geht es um andere Zeitspannen. Bei unserem derzeitigen Konzept erwarten die Menschen eine kurzfristige Umsetzung. Ein ganzheitliches Konzept mit langfristiger Wirkung bedarf einer längeren Umsetzung.

Unterschiedliche Trägerschaft für Radwege

Straßen werden in Bundesstraßen, Kreisstraßen oder kommunale Straßen kategorisiert mit unterschiedlicher finanzieller Beteiligung bei Straßenarbeiten. Wie sieht das bei den Radwegen aus?

Jörg Sauer: Das ist ganz unterschiedlich. Die Radwege befinden sich in unterschiedlicher Trägerschaft. Die Kommunen spielen eine ganz wichtige Rolle. Bei den Fernradwegen ist das Land ein entscheidender Faktor. Bei anderen Radwegen wie dem Weiltalradweg plant und übernimmt das Land komplett die Finanzierung und Umsetzung, was sehr hilfreich für uns ist. Wir haben kommunale Projekte, wo es eine 100 Prozent-Förderung des Landes geht und auch der Kreis wird seinen Beitrag leisten müssen. Es ist ein Mischmasch, aber dazu soll auch das Radwegekonzept dienen, das man die unterschiedlichen Trägerschaften deutlich macht und dann aufzeigt, wo es eventuell sinnvoll ist, Trägerschaften zu übernehmen. Es kann zum Beispiel sein, dass fördermäßig der eine oder andere Weg besser ist, je nach Trägerschaft. Und die Kommunen brauchen wir auf alle Fälle mit im Boot.

Verena Nijssen: Das kommt auch in dem Check heraus. Darin wird aufgezeigt, wer neben dem Landkreis mit verantwortlich ist. Voraussetzung für eine Förderung investiver Maßnahmen ist für das Land Hessen ein schlüssiges Konzept. Das ist einer der Ansatzpunkte für den Check gewesen. Und es geht auch darum, die Kommunen miteinander zu vernetzen. Die Kommunen schauen auf ihre eigenen Bereiche und wir vom Landkreis schauen darauf, wo eine Vernetzung sinnvoll ist. Und umgekehrt können die Kommunen das Konzept nutzen, um Anträge beim Land zu stellen, allein oder gemeinsam.

Konflikte Radfahrer und Fußgänger

In diesem Jahr mit Zunahme des Radverkehrs hat auch der Konflikt zwischen Radfahrern und Fußgängern zugenommen. Teilweise ist ein Ausweichen möglich, aber an anderen Stellen nicht. Nicht jeder Fußweg ist für Menschen mit Gehbehinderung oder Familien mit Kinderwagen begehbar. Wie möchte der Landkreis diesem Konflikt begegnen? Sollen parallel dazu extra Fußwege geplant oder neue Wege extra breit gestaltet werden, um von vorneherein die Konflikte zu vermeiden?

Jörg Sauer: Die Konflikte wird es zunehmend geben, bin ich der festen Überzeugung. Der Radverkehr hat exorbitant zugenommen. Im Grunde genommen müsste neben jedem Radweg ein Fußweg sein und daneben noch ein Pferdeweg. Es gibt Länder, da gibt es das, wie in Polen. Der Lahntalradweg wurde speziell als Radweg gebaut und es ist inzwischen gefährlich, da langzulaufen. Beim Weiltalradweg wird breiter werden, damit es Möglichkeiten zum Ausweichen gibt.
Ich bin ja selbst kein Radfahrer, daher kann ich die Sicht als Fußgänger bestätigen. Die gegenseitige Rücksichtnahme fehlt teilweise. Wir müssen überlegen, welche Möglichkeiten wir haben, Spaziergänger oder Wanderer zu lenken. Dies wird bei den Diskussionen mit eine Rolle spielen.

Sie haben also die Fußgänger mit im Blick, auch wenn im Mittelpunkt der Radverkehr steht?

Jörg Sauer: Selbstverständlich. Zum Beispiel beim Weiltalweg werden Überlegungen gestartet, dies zu einem alltagstauglichen Weg zu machen. Wir möchten den Radverkehr von der Straße runternehmen. In den letzten Monaten nahmen die Verkehrsunfälle, meist mit älteren Menschen, zu, die nicht auf einen Radweg ausweichen, weil die Wege nicht gut ausgebaut sind.

Verena Nijssen: Wir haben ein Platzproblem, daher wird der Konflikt nicht zu vermeiden sein. Daher ist auch wichtig abzuwägen, für welche Bedarfe welcher Weg genutzt wird.

Wenn der Nahmobilitäts-Check jetzt in die Kreisgremien geht, wie geht es dann weiter?

Jörg Sauer: Die Kreisgremien beschließen diesen Nahmobilitäts-Check. Damit beschließen wir den Förderantrag für die nächste Stufe, das große Konzept. Dies wird dann in Auftrag gegeben. Wenn das Konzept fertig ist, geht dies wieder in die Kreisgremien. Aus dem erstellten Konzept werden dann die einzelnen Projekte abgeleitet. Aber auch bereits jetzt gibt es einzelne Projekte, die sich in Planung und Umsetzung befinden und wo es Finanzierungszusagen gibt. Dies sind der unter anderem der Weiltalweg.

Verena Nijssen: Wir haben auch bereits einen Schüler-Radrouten-Planer und das schulischen Mobilitätsmanagement angestoßen. Dies wird vom Land Hessen finanziert. Ein Planungsbüro wird beauftragt, das läuft alles über die ivm GmbH (Integriertes Verkehrs- und Mobilitäts-management Region Frankfurt RheinMain). Ein Büro schaut, welche Routen bereits um die Schulen herum vorhanden sind und diese fließen in eine App. Schüler können in dieser App dann erfahren, wie sie sicher zur Schule kommen. In dieses Projekt sind auch die Schulen vor Ort und die Polizei mit eingebunden. Beim schulischen Mobilitätskonzept geht es auch darum, den gesamten Schülerverkehr so zu gestalten, dass die Schüler selbständig zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Bus zur Schule kommen können.

Es existiert bereits ein Schülerradroutenplaner des Landes Hessen. In diesem sind jedoch für den Landkreis nur die Hauptachsen verzeichnet. Eine Anbindung der Siedlungsbereiche an die für diese relevanten weiterführenden Schulen ist mit diesem bisher nicht gewährleistet (Quelle Nahmobilitäts-Check)

Kommen Anregungen aus der Bevölkerung?

Verena Nijssen: Es kommt vor, nicht viel, aber über die Zeit immer wieder. Ganz groß ist das Thema Lastenrad. Da gibt es momentan ein großes Interesse. Das ist nämlich auch ein Thema wegen dem Platz wie zum Beispiel Kurven gestaltet werden müssen, damit man mit einem Lastenrad rumkommt. Da sind andere Länder weiter als wir.

Jörg Sauer: Auf der Deponie haben wir bereits zwei Lastenräder, die gut genutzt werden.

Verena Nijssen: Auch die Arbeitgeber haben einen Einfluss darauf, wie attraktiv Radfahren ist, durch Abstellmöglichkeiten und Erreichbarkeit.

Menschen vom Rad überzeugen

Wie soll das ganze in der Kommunikation begleitet werden? Wie sollen die Menschen animiert werden, aufs Rad zu steigen?

Verena Nijssen: Ideen gibt es ganz viele. Die Frage ist aber auch, was wir im Kreis leisten können, denn es ist auch eine personelle Frage und wie es die politischen Gremien sehen. Dies betrifft dann auch das Radwegekonzept, welches personell begleitet werden muss.

Jörg Sauer: Es gab bereits verschiedene Aktionen wie „Mit dem Rad zur Arbeit“ oder „STADTRADELN“ um vermehrt darauf aufmerksam zu machen, was man mit dem Rad alles machen kann. Ich glaube, wenn das Radverkehrskonzept steht und Streckenverbindungen sehr gut durchgeplant sind, dann können wir mit konzertierten Aktionen gemeinsam mit Unternehmern und Schulen deutlich machen, was geht. Und wenn wir dann noch Arbeitgeber finden, die das ganz in irgendeiner Art fördern wie Ladestationen an der Arbeitsstelle, Abstellplätze oder auch Duschen im Gebäude, dann steigt die Akzeptanz für den Umstieg aufs Rad. Auch wir als Landkreis sind dran, Möglichkeiten zum Duschen zu schaffen.

Wie sieht es vom politischen Spektrum aus? Unterstützen alle das Konzept?

Jörg Sauer: Eine Abstimmung gab es jetzt noch nicht, aber ich glaube schon, dass der Radverkehr für alle eine wichtige Rolle spielt. In jeder Partei gibt es ein, zwei Spezialisten zu diesem Thema.

Verena Nijssen: Auch in den Workshops waren Politiker aus allen Parteien dabei und es war ein sehr konstruktives Arbeiten über Parteigrenzen hinweg.

 

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Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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