Kommentar – Es sind doch nur Schuhe?
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Die Initiative „Eltern stehen auf“ haben am 1. April zu einer bundesweiten Aktion aufgerufen. Besorgte Eltern sollten vor öffentlichen Gebäuden Kinderschuhe aufstellen, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Kinder unter den Corona-Maßnahmen leiden. Dieser Aufruf wurde vor allem in der Szene der Querdenker und Coronaleugner verbreitet (Quelle MDR)
Keine harmlose Aktion
So harmlos wie die Aktion auf den ersten Blick wirkt, ist sie leider nicht. Zahlreiche jüdische Verbände und Gemeinden sowie auch Elternverbände haben diese Aktion kritisiert, denn leere Kinderschuhe sind ein Symbol des Holocaust und stehen für den hunderttausendfachen Massenmord an Kindern im Dritten Reich. In dem Moment, wo diese Symbolik verwendet wird, um auf das aktuelle „Leid“ der Kinder aufmerksam zu machen, wird der Holocaust verharmlost, so die Kritik.
Auch in Limburg vor der Kreisverwaltung stellten Eltern am 1. April Kinderschuhe aufgestellt. Auf Plakaten stand zu lesen: „Finger weg von unseren Kindern“, „Wir lassen unsere Kinder nicht testen“, „Infektionsschutzgesetz kastriert Kinderrechte“ oder „Hört auf, uns zu quälen“. Die Eltern, welche diese Aktion initiiert haben, sind in die Gruppe „Limburg steht auf“ zu verorten, deren Organisator Manfred Hübner ist. Öffentlich distanziert er sich davon, dass er an der Aktion beteiligt gewesen sei. Dennoch war er vor Ort und es fand auch ein Gespräch zwischen ihm und dem Ersten Kreisbeigeordneten Jörg Sauer statt.
Aktivisten fühlen sich denunziert
Mit dem Hinweis, dass deutschlandweit diese Aktion aufgrund der gewählten Symbolik kritisiert wird, sagt erstmal niemand, dass die Akteure im rechten Milieu zu verorten sind. Anstatt sich zu entschuldigen, weil ihnen diese Symbolik nicht bewusst war und dann diese „Kunst“ wegzuräumen, schlagen die Aktivisten verbal um sich, fühlen sich missverstanden, zu Unrecht angegriffen und denunziert. Die Kritiker würden sie absichtlich „framen“ und in die rechte Ecke stellen. Da hilft es nichts, dass sie anonym an die Zeitung schreiben, dass sie die Schuhe liebevoll arrangiert hätten und nicht wie die Nationalsozialisten einfach auf einen Haufen geworfen. (Quelle Nassauische Neue Presse) Solange es weiter Redebeiträge bei den Veranstaltungen dieser deutschlandweiten Gruppierungen gibt, welche sich auf eindeutig rechte Quellen und Verschwörungstheoretiker beziehen, liegt eine Einordnung der „Kerngruppe“ dieser Aktivisten in entsprechenden Kreise nahe.
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Demokratie und Meinungsfreiheit
Es war kein kleiner Personenkreis aus Limburg-Weilburg, der diese Kritik an der Aktion äußerte und diese Vergleiche aufstellte. In ganz Deutschland stieß diese überregional organisierte Aktion negativ auf. Sie verletzte viele Mitmenschen sehr und die Rechte dieser Mitmenschen sind ebenso schützens- und berücksichtigenswert wie die eigenen Rechte. Und die Meinungsfreiheit hört da auf, wo ich die Meinung anderer verletze.
Das die Eltern diese Aktion durchführen konnten, beruht auf unserer Demokratie. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu sagen und seine Meinung zu vertreten. Zur Demokratie gehört auch, dass wir uns die verschiedenen Meinungen anhören müssen. Die Aktion war zeitlich begrenzt, behinderte niemanden und so war sie rechtlich erlaubt. Jeder kann jedoch für sich entscheiden, ob er einer solchen Meinung eine Bühne bietet oder dafür aufsteht zu zeigen, dass sowas nicht geht und unangebracht ist.
Instrumentalisierung der Kinder
Wir brauchen nicht darüber streiten, dass Corona uns alle einschränkt und unser normales Leben derzeit nicht möglich ist. Ein kritisches Hinterfragen findet statt, vor allem, wenn so ein Chaos existiert wie jetzt vor Ostern. Kinder müssen auf soziale Kontakte verzichten, können ihren Hobbies nicht mehr nachgehen und vermissen ihre Schulkameraden.
Die COPSY-Studie der Universität Hamburg belegt, dass fast jedes Kind psychisch auffällig ist, vor Corona sei es jedes fünfte Kind gewesen. Dabei seien sozial benachteiligte Kinder besonders getroffen. Gleichzeitig zeigt die Studie aber auch, dass Kinder, die in einem guten familiären Umfeld leben, besser mit den Belastungen zurechtkommen (Quelle Tagesschau). Wenn ich Kinder mit auf die Demos nehme, wo teilweise abstruse Theorien geäußert, dort keine / nicht ausreichende Abstände eingehalten und Ängste absichtlich geschürt werden, wenn es am Abendbrottisch keine anderen Themen als Corona gibt und die Kinder für die eigenen Aktivitäten instrumentalisiert werden, dann ist dies eine psychische Belastung. Die Eltern haben sie dann vielleicht nicht verursacht, aber zumindest befeuert.
Es ist klar, dass die aktuelle Situation wenigen Mitmenschen gefällt, die Maßnahmen beschränken uns alle in unterschiedlicher Art und Weise. Genau deshalb muss jede Maßnahme immer wieder auf den Prüfstand. Entscheidungen, welche vor wenigen Tagen getroffen wurden, können im Lichte neuer Erkenntnisse heute schon wieder zurückgenommen werden. Diese Diskussionen jedoch müssen auf zwei elementaren Säulen beruhen. Die erste Säule sind wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Die sollen zu zielgerichteten Entscheidungen führen und einen Nutzen bringen. Die zweite Säule ist gegenseitiger Respekt im Umgang miteinander, denn auch nach der Pandemie teilen wir uns alle eine Erde, auf der wir gemeinsam in Frieden miteinander leben möchten.
Vergleiche mit dem Holocaust unangebracht
Aber diese Pandemie ist in keiner Weise mit dem Holocaust vergleichbar. In dem Moment, wo solche Vergleiche entstehen, findet eine Relativierung des Holocaust statt. Diese Aktion ist nicht die erste dieser Art. Impfgegner nähen sich einen gelben Stern auf die Jacke mit der Aufschrift „ungeimpft“, junge Menschen vergleichen sich mit Sophia Scholl oder Anne Frank. Die Limburger Eltern hinter der Aktion sprechen davon, dass der Infektionsschutz die Kinderrechte kastriert. Eine Kastration ist das operative Entfernen der Keimdrüsen, so dass eine Fortpflanzung nicht mehr stattfinden kann. Auch in der NS-Zeit fanden Kastrationen statt, weil die Nazis entschieden haben, wer sich fortpflanzen darf und wer nicht. DasImpfen der Menschen in den Senioreneinrichtungen gegen den Virus vergleichen die Aktivisten mit der Euthanasie. Und wenn die Verantwortlichen immer wieder durch solche Aktionen Vergleiche mit dem Holocaust ziehen und sich nicht davon distanzieren, dann müssen sie sich fragen lassen, wie ihre Gesinnung ist.
Wir müssen uns anhören, was die Coronaleugner von der aktuellen Situation halten, ihre Meinung aushalten. Dann müssen sie sich aber auch von uns anhören, wie wir dazu stehen. Sie müssen sich anhören, dass wir ihre Vergleiche für unpassend und unangebracht halten. Mit Hetze hat dies wenig zu tun. Dies nennt sich freie Meinungsäußerung.