Kommentar – Ich möchte weiterhin spazieren gehen!

Kennt Ihr das? Begriffe, die zu unserem Vokabular gehören, bereiten uns plötzlich Unbehagen, wenn wir sie aussprechen. Sie scheinen nicht mehr angemessen zu sein, wenn wir sie in ihrer eigentlichen Bedeutung verwenden.

Dies merkte ich bei einer meiner letzten Videokonferenzen vor Weihnachten, als der Sprecher kurz ins Stocken kam: „Wir müssen im neuen Jahr querdenken, um voranzukommen.“ Da war es geschehen. Kurzes Schweigen. Betretenes nach unten schauen und die Korrektur: „Wir müssen neue Wege denken.“ Das gleiche passiert jetzt mit dem Wort „Spaziergang“ und ich wehre mich dagegen, auch aus diesem positiv belegten Begriff etwas Negatives werden zu lassen.

Querdenken war mal gut

Fangen wir bei dem Begriff „querdenken“ an. Beim Querdenken handelt es sich um eine Denkmethode, oftmals im Rahmen der Kreativität. Ein Querdenker war eigentlich jemand, der anders denkt, als die Mehrheit und durch unkonventionelle Denkweise zu neuen Lösungsansätzen kommt. Vormals war dieser Begriff positiv besetzt. Mit der Szene der Coronagegner hat sich dieser Begriff zu etwas negativ Behaftetem gewandelt. Und es waren nicht die Befürworter, die den Gegnern diesen Namen gaben. Die Gegner der Coronamaßnahmen definierten sich selbst über diesen Begriff. Die Gruppierung in Stuttgart begann damit, sich Querdenken zu nennen und inzwischen sind Coronaleugner und Impfgegner sogenannte Querdenker. Sie denken anders, ja, aber sie liefern keine neuen Lösungsansätze. Sie leugnen und negieren nur, schüren Hass und wettern gegen die Demokratie.

Was sind Spaziergänge?

Vor Weihnachten begannen diese Gruppierungen, sich einen neuen, positiv besetzten Begriff anzueignen. Sie treffen sich zu sogenannten „Spaziergängen“. Und schon merke ich, dass ich stolpere. Kann ich noch sagen, ich gehe spazieren, ohne dass eine Verbindung zu diesen Menschen gezogen wird? Der Spaziergang ist laut Duden ein Gang im Freien, den man zur Erholung unternimmt. Es ist ein Schlendern allein oder mit Freunden.

Vor Weihnachten begannen die Querdenker deutschlandweit sich zu sogenannten „Spaziergängen“ zu treffen. Diese müssten nicht angemeldet werden. Rein zufällig würde man sich treffen und zusammen unterwegs sein. Nicht nur sie selbst nennen es „Spaziergang“. Auch viele Medien übernehmen das Wording. Im gelesenen Wort setzen sie den Spaziergang in Anführungszeichen, doch im gesprochenen Wort sind diese nicht zu hören. Ein Protest-Marsch, je nach Region unterschiedlich groß, erlangt durch dieses Wording eine Verharmlosung. Doch harmlos sind diese „Spaziergänge“ bei weitem nicht.

„Verhaltensregeln für einen Spaziergang“

Aus einem Video vom letzten Zusammenkommen der Querdenker-Bewegung in Limburg ist klar ersichtlich, dass Verkehrsverstöße begangen wurden. Die Gruppierung nutzte nicht den Bürgersteig, sondern nahm mehrmals Fahrspuren für sich ein – ohne das Eingreifen der Polizei. Über die Kreuzung ging die Gruppe bei Rot und behinderte somit den fließenden Verkehr. Sie waren klar als große Gruppe erkenntlich. Es gibt sogar „Verhaltensregeln für Spaziergänge“, welche in den Gruppen geteilt werden, damit ein Spaziergang erfolgreich ist.

Keine Fotobeschreibung verfügbar.
Sogenannte „Verhaltensregeln für einen Spaziergang“

Eine Versammlung nach der aktuellen Infektionsschutzverordnung sei derzeit nur sehr eingeschränkt möglich. Sie sei erkennbar durch nach außen gerichtete Meinungskundgaben wie Schilder, Banner und Fahnen. Ansonsten sei es eine Ansammlung, die unter Einhaltung der Mindestabstände keine Ordnungswidrigkeit darstelle. In der Nähe der Polizei sollen keine Parolen gerufen werden und es wird geraten, keine Gewalt anzuwenden. Es wird ebenfalls empfohlen, keinen Personalausweis mitzuführen, damit eine Identifizierung deutlich erschwert und zeitaufwendiger wird. Und man soll nie zugeben, Teil einer Gruppe zu sein, sondern immer nur darauf hinzuweisen, dass man ja spazieren geht. Dies könne niemanden verboten werden. Es seien einfache Tricks, mit denen ein Spaziergang gelinge.

Es ist kein Spaziergang!

Doch sieht man sich die Videos zum letzten „Montagsspaziergang“ in Limburg an, gibt es mehrere Anzeichen, dass es sich nicht um einen „Spaziergang“ handelt, sondern um eine Versammlung. Mit Pappschildern, aber auch Reaktionen auf die Aussagen der Polizei gibt es Bekundungen aus der Gruppe hinaus. Nicht nur einer verstößt gegen die Verkehrsregeln, sondern die gesamte Gruppe, die sich wie ein ekliger Lindwurm durch die Gassen schlängelt. Und es sind immer wieder Rufe zu hören, die die Richtung dieses Lindwurms dirigieren. Also bitte, nennt es nicht Spaziergang, sondern benennt es, was es ist – eine Kundgebung von Impfgegnern gegen die Corona Regeln, eine nicht genehmigte Demonstration, die Teilnehmenden kämpfen angeblich für die Grundrechte und betiteln andersdenkende als Schlafschafe. Sie marschieren durch die Straßen, nichts anderes machen sie.

An die Geschäftsstelle der Commerzbank Limburg von außen geklebt

Es gibt zu jedem Thema verschiedene Meinungen und dies ist auch gut so. Doch die Gegner der Corona Maßnahmen vereinnahmen Begriffe, so dass sie ihre positive, neutrale Bedeutung verlieren und zu etwas hässlichem werden. Es hat nur wenige Tage gedauert, um den Begriff des Spazierengehens negativ zu besetzen. Ich möchte mir die Deutung dieser Menschen zu einem Wort nicht aufzwingen lassen. Ich möchte auch weiterhin spazieren gehen, frische Luft schnappen, mir die Beine vertreten und in der Region unterwegs sein – ohne Hintergedanken, ohne Protest auszudrücken, sondern einfach, um mir etwas Gutes zu tun.

Und ich bin damit nicht alleine. Unter #reclaimspaziergang formiert sich auf Twitter eine kleine Bewegung, für die spazieren gehen genau das ist, was es ist. Damit fordern sie den Spaziergang für sich zurück.

Und eine Journalisten-Kollegin hat ebenfalls darüber geschrieben, sich das Spazieren gehen nicht nehmen zu lassen.

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

4 thoughts on “Kommentar – Ich möchte weiterhin spazieren gehen!

  • 3. Januar 2022 um 14:06
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    Hallo,

    die Bezeichnung Querdenker ist ein Widerspruch in sich in Verbindung mit der Corona-Pandemie. Wie kann man ohne Hirn jemand als Querdenker bezeichnen ?

    Dr. Michael Wecker

    Antwort
  • 3. Januar 2022 um 20:02
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    Hey,
    ich finde es gut, das Querdenker ohne Hirn auf die Straße gehen um den anderen zu zeigen, daß man sich mit der Nadel nicht das Leben schöner noch verlängern kann. Ich habe mich Jahre lang gegen Grippe Impfen lassen, ohne gehört zu haben, das ich die anderen damit schütze. Ich bin nicht auf den Balkon Applaudierend gestanden, um den Pflegedienst es zu sagen, dass wir Sie brauchen. Jeder Beruf wird gebraucht, außer die Maulwürfe unter den Einwohnern. Wir haben schon ein Land verloren, mit solchen Methoden. Es gab schon mehrere Epedemien zb. Russische Grippe 1977 etc. Man sollte doch sich aller 3 Monate gegen Corona Impfen lassen, dann hat wenigstens die Pharma Industrie was davon und die Standorte der Pharma Industrie.
    Mit freundlichem Gruß Udo

    Antwort
  • 5. Januar 2022 um 9:25
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    Liebe Heike, Du sprichst mir aus der Seele. Lasst uns dagegenhalten, wenn harmlose Begriffe okkupiert werden. Dabei kommt uns Journalisten eine besondere Verantwortung zu, die ich in der täglichen Arbeit ausführliche nutze. Diese „Spaziergänger“ sind Demonstranten, nichts anderes, und das schreibe ich in meinen Texten auch so.
    LG Susanne

    Antwort
    • 5. Januar 2022 um 9:29
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      Liebe Susanne, das stimmt und ich sage dies auch recht deutlich. Was ich merke – sie lesen die Texte nicht mal richtig, kommen mit ihren Argumenten, die ruckzuck zerpflückt sind und dennoch kommt man nicht mehr an sie ran. Ich bin aber an einem Punkt, an dem ich ihnen die Deutung der Begriffe nicht mehr überlassen möchte. Wir sind doch viel mehr und das sollten wir auch zeigen.
      LG Heike

      Antwort

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