Kommentar: „Woher kommst Du?“

„Wo kommst du her?“ – eine Frage, die für mich zu meinem Beruf gehört und für andere bereits für Alltagsrassismus steht. „Wo kommst Du her?“ ist für mich verbunden mit der Neugierde, ob jemand gebürtig aus der Region ist oder wie ich, zugezogen. Für andere impliziert sie bereits die Unterstellung, nicht hierher zu gehören.

Dankbar war ich daher, dass bei der Klappstuhlsession von „Wir sind mehr“ dieses Thema aufkam und der Hauptredner der Veranstaltung, Shérif Wouloh Korodowou, genau über diese Frage sprach. Ich nutzte die Gelegenheit, mich nach seiner Rede mit ihm zu unterhalten und ihn zu fragen, ab wann diese Frage rassistisch ist und in welchem Kontext sie verwendet werden kann. Und seine Antwort zeigte mir auf, dass ich auch in Zukunft diese Frage nicht aus meinen Interviews streichen muss.

Was impliziert die Frage?

Shérif Wouloh Korodowou erklärte mir, es mache immer einen Unterschied, was diese Frage impliziert. Nutze ich sie als Einstieg, um für mich erstmal abzuklären, ob es der Gegenüber wert ist, sich mit ihm zu unterhalten, dann hat diese Frage eindeutig rassistische Tendenzen. Auch ein explizites Nachfragen, wenn dem Fragenden die Antwort nicht gefällt, sind dem Alltagsrassismus zuzuordnen. Aber die Frage im Verlaufe eines Gespräches, um sich den Hintergrund einer Person zu erschließen, ist auch in seinen Augen in Ordnung. Und so sehe ich es auch und ich begrüßte es sehr, die Gelegenheit zum Gespräch mit ihm zu haben.

Seit der Tötung von Georg Floyd in Amerika und der dadurch verstärkten Black Lives Matter Bewegung kommt immer wieder auf, dass Rassismus mit der Frage „Woher kommst Du?“ beginnt. Muss ich die Frage aus meinem Repertoire streichen? Darf ich niemanden mehr fragen, woher er kommt? Dies waren Gedanken, die mich beschäftigten und über die ich auch mit anderen sprach. „Woher kommst Du?“ verbunden mit „Und woher kommst Du wirklich?“ ist definitiv rassistisch.
Aber die Frage kann noch so viel mehr. Bist du gebürtig von hier oder zugezogen? Was war der Grund, warum du hier gelandet bist? Welche Vergangenheit hat dich geprägt? Ist dies deine Heimat geworden oder wo liegt deine Heimat? Woher kommt meine Urlaubsbekanntschaft? Wo sind die Wurzeln meines Gesprächspartners und wie prägen diese die Person in ihrem Auftreten?
Daher plädiere ich dafür, die Frage „Woher kommst Du?“ nicht allgemein als Synonym für Rassismus abzustempeln und aus dem Sprachgebrauch zu entfernen. Vielmehr plädiere ich für eine bewussten und offenen Umgang mit dieser Frage und einem Überlegen, was man mit dieser Frage impliziert.

Wie ist eure Meinung zu dem Thema?

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

2 thoughts on “Kommentar: „Woher kommst Du?“

  • 7. September 2020 um 7:27
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    Auch ich stelle diese Frage bisweilen, nicht zu Beginn eines Gesprächs sondern iin dessen Verlauf. Da ich Menschen nicht nach ihrer Herkunft beurteile und die Herkunft eines Menschen für mich keinen Indikator für seinen „Wert“ darstellt, finde ich die Frage nicht grundsätzlich rassistisch. Ich stelle sie, weil mich die Geschichte des Menschen interessiert, sie bedeutet für mich eine Möglichkeit einen Menschen und besser kennenzulernen und Erkenntnisse zu gewinnen. Ich denke, dass die FrGe erst einmal nicht per se rassistisch ist; es kommt für mich auf den Kontext In dem sie gestellt wird und die Intention des Fragestellers an.

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