Krankenhaus statt Fabrik und wie die Parteien dazu stehen

Bereits vor der Corona-Pandemie gab es viel Kritik am System Krankenhaus. Die Privatisierungen in dem Bereich und das Streben nach Gewinn gehen am Bedarf vorbei und sorgen für den Pflegenotstand. Krankenhäuser sind zu Fabriken verkommen. Corona deckte dies schonungslos auf. 

Der DGB Kreisverband Limburg-Weilburg sowie Wiesbaden-Rheingau-Taunus sowie ver.di Bezirk Wiesbaden luden zu einer Onlineveranstaltung mit Dr. Nadja Rakowitz ein. Rakowitz ist Mediensoziologin sowie Geschäftsführerin des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte. Sie warf einen scharfen Blick auf das System Krankenhaus und was die Aufgaben der Gewerkschaften sind.

Kämpfen für das Solidarprinzip

Der Kampf der Gewerkschaften für die Gesundheit ist wichtiger denn je. Nach Corona kommt die Sparpolitik und diese macht vor der Gesundheit nicht halt. Da ist sich Dr. Nadja Rakowitz sicher. „Das Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenkassen müssen wir verteidigen, wenn es auf Sparkurs geht“, so ihr Aufforderung an die Zuhörer. Das Solidarprinzip der Krankenkassen besagt, dass jeder nach seinen Leistungen in die Krankenkasse einzahlt, aber alle nach Bedarf ihre Leistungen erhalten. Dieses System wird bereits jetzt ausgehöhlt durch Zuzahlungen bei speziellen Leistungen. Die Krankenkassen werden Stück für Stück zu Unternehmen umgebaut und alle Parteien haben dies bisher mitgetragen. Rakowitz plädiert für eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen müssen. Sie würde auch die Pflegeversicherung da mit hineinrechnen. Finanziell sei dies möglich.

Umbau des Gesundheitssystems

Doch die strukturellen Probleme im Gesundheitswesen begannen nicht erst mit Corona. In den 70er Jahren machte man die Ärzteschaft zu Kleinunternehmern. „Das Unternehmertum setzt falsche Anreize“, so Rakowitz. Dies führe dazu, dass Städte besser versorgt sind als der ländliche Raum und in der Stadt die wohlhabenden Bezirke besser als die armen Wohnviertel. Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) wurden eingeführt, die die Patienten prinzipiell selbst bezahlen müssen und die das Einkommen der Ärzteschaft aufbessern. Das Angebot dieser Leistungen nimmt zu. „Die Nützlichkeit der IGeL -Leistungen ist in den meisten Fällen fraglich“, so die Rednerin. Weitere strukturelle Probleme seien die Klassengesellschaft bei der Terminvergabe oder das Streichen von Leistungen wie Brillen.

Ein weiteres Problem sieht sie mit der Bildung von Medizinischen Versorgungszentren kommen. Früher waren in diesen mehrere Fachärzte gebündelt an einem Ort. 2018 wurden die Vorgaben dafür aufgehoben und das System für private Investoren geöffnet. Bereits jetzt gibt es Anzeichen, dass sich Unternehmer vermehrt in solche Zentren einkaufen. „Relativ leise, ohne Aufschrei vollzieht sich hier ein Wandel“, so Rakowitz, „es bilden sich Ketten, in den sich die lukrativen Bereiche wie Radiologie, Dialyse und Zahnärzte finden.“ Diese Entwicklung muss in ihren Augen in den Anfängen gestoppt werden.

Krankenhäuser den Kapitalisten

Ein großer Bereich im Gesundheitswesen sind die Krankenhäuser. Früher finanzierten die Krankenkassen die Krankenhäuser. Es galt das Selbstkostendeckungsprinzip. Die Krankenhäuser durften keine Gewinne machen und neben den Krankenkassen flossen auch Gelder der Länder in die Häuser. Mit der Wende 1989 und den Umbau der ostdeutschen Krankenhäuser nach westdeutschen Strukturen begann die Privatisierungswelle in den neuen Bundesländern. Im Zuge dessen fand auch der Umbau des Gesundheitswesens zu einem Markt statt.

Die Leistungen aller Krankenhäuser wurden berechnet und ein Durchschnittspreis für den Patienten gebildet. Dieser liegt derzeit bei rund 3.800 Euro. Dieses DRG-System (Diagnosis Related Groups) setzt nun die Leistungen in Relation zu diesem Durchschnittspatienten. Für eine Blinddarm-Operation gibt es das 0,4 fache des Durchschnittspatienten, für eine Herz-Operation das 37-fache. Diesen Preis erhält das Krankenhaus dann pauschal für den Patienten. Und dies hatte Auswirkungen auf die Ausrichtung der Häuser. Lukrative Operationen waren begehrter als nicht so lukrative Patienten.

Geld sparen bei vorzeitiger Entlassung

Wenn für eine Leistung ein Aufenthalt von 12 Tagen vorgesehen ist, sollte dies nicht überschritten werden, denn nur bei Komplikationen gibt es eine höhere Zahlung. Kann der Patient eher entlassen werden, bleibt mehr Geld für das Krankenhaus und es hat Gewinn gemacht. Das Krankenhaus erhält das Geld pro Patient und hat demnach keine Vorhaltekosten. „Ein leeres Bett bedeutet kein Geld“, so Rakowitz. Dies war auch das Dilemma während Corona. Die Krankenhäuser sollten Betten frei halten und bekamen Angst, dass sie kein Geld erhalten. Die Krankenhäuser erhielten jedoch Ausgleichszahlungen für entgangene Einnahmen. Gleichzeitig verschärfte sich der Konkurrenzdruck unter den Krankenhäusern. „Wer unter diesen Bedingungen nicht wirtschaften kann, fliegt aus dem Markt“, so Rakowitz.

Fallpauschalen setzen falsche Anreize

Diese Art der Finanzierung führte bei den Krankenhäusern, dass sie die Abteilungen ausbauten, die für lukrative Fälle sorgten wie Kardiologie und Orthopädie. Die Fallzahlen nehmen deutlich zu. In den letzten zehn Jahren gab es eine Steigerung um zwei Millionen. Zudem zeigte sich, dass sich die Pädiatrie sowie die Geburtenkontrolle über das DRG-System nicht sehr gut abbilden lassen.
Es fand vor allem eine Senkung der Kosten beim Personal statt. Die gesetzliche Regelung zur Vorhaltung von Pflegepersonal wurde abgeschafft und so sieht der Pflegeschlüssel inzwischen eine Pflegekraft auf 13 Patienten vor.

Dabei sieht Rakowitz die Diskussion um Schließung von Krankenhäusern am Thema vorbei. Sie plädiert dafür, diese in intersektorale Gesundheitszentren umzuwandeln. Dies ist ein Modell der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Damit soll die wohnortnahe medizinische Versorgung der Menschen gesichert werden, die kein Krankenhaus mit seiner komplexen Infrastruktur, aber eine medizinische und pflegerische Betreuung über mehrere Tage bedürfen. Positiv hob sie hervor, wenn sich Kommunen ihrer Verantwortung bewusst sind und kommunale MVZ oder öffentliche, ambulante Versorgung realisieren.  „Die Zeit ist reif und günstig“, so die Rednerin. Die medizinische Versorgung gehört nicht ins Unternehmertum.

Corona hat nochmal verschärft das Brennglas auf die Situation der Krankenhäuser geworfen. „Die Diskussionen finden statt, aber es ist fraglich, ob die Parteien das System abschaffen“, so Rakowitz am Ende ihres Vortrages.

Wie stehen die Parteien zu den Fallpauschalen?

Doch wie sieht es tatsächlich bei den Parteien aus? Ein Blick in die Wahlprogramme lässt erkennen, wie die einzelnen Parteien dazu stehen.

Die SPD möchte das System der Fallpauschalen auf den Prüfstand stellen, die Pauschalen überarbeiten und wo nötig, die Fallpauschalen abschaffen. Die Fallpauschalen eignen sich nicht zur Darstellung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Daher soll diese Finanzierung eine neue Struktur erfahren. Die SPD möchte die die Kommunen stärken beim Errichten und Betreiben von integrierten medizinischen Versorgungszentren.

Bündnis 90/ Die Grünen sahen in ihrem Entwurf vor, dass Kliniken in Zukunft nicht mehr nur nach Fallzahlen, sondern auch nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Das neue Finanzierungssystem nach dem grünen Bild sieht eine Säule der Strukturfinanzierung vor und eine Reformation des verbleibenden fallzahlabhängigen Vergütungsteils. Bund und Länder sollen zukünftig gemeinsam die Investitionen in die Krankenhäuser teilen. Die Angebote in den Krankenhäuser sollen sich danach richten, was benötigt wird und nicht danach, was sich rentiert. Krankenhäuser, die durch fehlende Auslastung die nötige Qualität in einigen Bereichen nicht gewährleisten können, sollen nicht einfach aufgegeben, sondern zu leistungsfähigen lokalen Notfall-, Gesundheits- und Pflegezentren weiterentwickelt werden.

Die FDP fordern eine nachhaltige Verbesserung der Investitionsfinanzierung für maximalversorgende und kleinere spezialisierte Krankenhäuser. Nur so kann die bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Versorgung aller Menschen sichergestellt werden. Das Vergütungssystem soll höhere Qualität belohnen. Die Strukturreform im stationären Sektor muss verantwortungsvoll weiterentwickelt und Fehlanreizen für eine Überversorgung und ein Überangebot an Krankenhausleistungen bereinigt werden.

Die AfD sieht das Fallpauschalensystem auch kritisch. Sie plädiert für die Einführung eines Individualbudgets für Krankenhäuser. In die individuelle Finanzierungsvereinbarung zwischen den Krankenkassen und den jeweiligen Kliniken fließen das klinische Leistungsgeschehen, die Prüfungsergebnisse des erweiterten neuen Medizinischen Dienstes im Gesundheitswesen (MDG), der tatsächliche Bedarf in der Bevölkerung vor Ort sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des jeweiligen Krankenhauses ein. Nur noch maximal 60 Prozent der Krankenhäuser sollen sich in der Hand privater Träger befinden.

Die Linke fordern die Abschaffung der Fallpauschalen, da sie falsche Anreize setzt. Die Krankenkassen sollen die Betriebskosten vollständig refinanzieren. Zudem soll eine Überführung der Krankenhäuser in kommunale und gemeinwohlorientierte Hand stattfinden. Gewinne dürfen nicht in die Taschen der Investoren fließen. Daher setzt plädiert die Linke für ein Gewinnverbot.

Wie die CDU zum Thema steht, ist derzeit nicht bekannt, da sie ihr Wahlprogramm erst im Juli vorstellen möchte.

Alle Wahlprogramme findet ihr hier.

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.