Maikundgebung DGB Limburg-Weilburg: „Wir brauchen neue Spielregeln“

Die Gewerkschaften haben einiges geleistet in der Corona-Pandemie. Dennoch hat diese Krise auch schonungslos die Defizite der Gesellschaft aufgezeigt. Daher ist die Arbeit noch lange nicht beendet. Und eigentlich bedarf es neuer Spielregeln und einer sozial-ökologischen Reform, um auch in Zukunft solidarisch zu sein.

Schon zum zweiten Mal ging es am 1. Mai in Limburg nicht auf die Straße und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Kreisverband Limburg-Weilburg verlegte seine Kundgebung ins Netz. Rund 100 Zuschauer nahmen direkt an der Kundgebung teil und bis zu 500 Aufrufe verzeichnete die Kundgebung bis Sonntagmorgen. Damit war die Reichweite wohl höher, als hätte die Kundgebung nur vor Ort stattgefunden. Nichtsdestotrotz wünschten sich alle lieber die Sichtbarkeit auf der Straße, dann Schwenken der Fahnen und das Rufen der Forderungen ins Mikrofon. Das diesjährige Motto der Gewerkschaften hieß „Solidarität ist Zukunft“.

DGB-Kreisverbandsvorsitzende Viktoria Spiegelberg-Kamens

Mehrbelastung in der Krise

In der Coronakrise haben die Gewerkschaften schnelles und soziales Handeln gezeigt, so DGB-Kreisvorsitzende Viktoria Spiegelberg-Kamens. Sie haben dafür gesorgt, dass das Kurzarbeitergeld bis zu 87 Prozent des fälligen Nettolohns erhöht wurde und dass der Zugang zu Arbeitslosengeld vor allem für Soloselbständige erleichtert wurde. Es sei ein Zeichen von Solidarität, in der Krise für die Beschäftigten und ihre Gesundheit zu sorgen. Dennoch habe die Krise auch gezeigt, welche prekären Situationen vor allem auch in den menschenbezogenen Berufen herrschen. „Vom Klatschen allein wird niemand satt“, so Spiegelberg-Kamens. Daher muss sich vor allem in diesen Berufen endlich etwas tun, wie einheitliche Tarifverträge, welche eine gute und sichere Zukunftsaussicht geben.

Tom Winhold, Landesfachbereichsleiter ver.di Hessen, warf einen Blick auf den öffentlichen Dienst wie die Beschäftigten im Gesundheitsamt, den Kitas, in den Ordnungs- und Sicherheitsbehörden sowie sozialen Dienst. Sie alle hätten flexibel auf die Krise reagiert im Rahmen ihrer Möglichkeiten und haben gezeigt, dass es sich mitnichten um „starre, verkrustete Strukturen“ handelt. Und Winhold ist sich sicher, dass gerade die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, „zu einem wesentlichen Teil dazu beigetragen haben, den Laden am Laufen zu halten.“ Sie hätten einfach getan, was notwendig ist. Daher darf nicht zugelassen werden, dass die Krise auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Im öffentlichen Dienst setzen sich die Gewerkschaften daher für mehr Personal, eine bessere Auslastung und eine Entlastung des Einzelnen ein. Diese Krise ist nämlich in vielen Bereichen mit einer Mehrbelastung der Beschäftigten verbunden, worauf aufmerksam gemacht wird.

Mai Kundgebung
Tom Winhold, Landesfachbereichsleiter ver.di Hessen

Egoistische Gesellschaft

Einen sehr kontroversen, zuweilen auch nachdenklichen Impuls schickte Erik Flügge, Buchautor und Arbeitgeber. Als Arbeitgeber würden seine Interessen ja eigentlich gegen die Interessen der Gewerkschaften stehen. Eigentlich müsste er auf Gehaltserhöhungen verzichten, um seinen Gewinn zu maximieren und auf befristete Arbeitsverträge verzichten, um flexibel zu bleiben. Dennoch gibt es bei ihm Gehaltserhöhungen und seine Angestellten haben unbefristete Arbeitsverträge. Aber dies mache er alles freiwillig. Er würde die gleichen Werte mit den Gewerkschaften teilen. Das Problem beginnt, wenn ein Arbeitgeber eben nicht die gleichen Werte teile. Die meisten Leute sind eben nicht bereit, sich freiwillig einzuschränken. Leider gilt in der ganzen Gesellschaft immer nur „ich, ich, ich“, egal bei welchem Thema. Gewinnen können am Ende nur die Superreichen, denn auf sie wirft keiner einen Blick, denn alle blicken nur auf das kleine Vermögen in der Mitte der Gesellschaft, was „nur Krümel am Rande des Tisches sind.“

Erik Flügge Maikundgebung
Erik Flügge

Gesetzliche Regeln statt moralische Reden

Daher forderte er von den Gewerkschaften, dass alle wieder an einem Strang ziehen. Dafür reicht es leider nicht aus, wenn er alleine als Arbeitgeber einen ersten Schritt macht. Dabei kann er am Ende nur verlieren, denn sein erster Schritt ändert nicht die geltenden Spielregeln. „Fordern wir Gesetze ein und keine freiwilligen Regelungen“, so sein Aufruf an die anwesenden Gewerkschafter. „Ein muss den Anfang machen. Wollt ihr das sein?“, fragte er provokant. Es reicht eben nicht mehr nur aus, moralische Reden zu schwingen, sondern es müssen gesetzliche Veränderungen her, welche die Spielregeln ändern.

Warum muss jemand erst in die Gewerkschaft eintreten und in Vorleistung gehen, bevor seine Interessen vertreten werden? Er forderte die Gewerkschaften konkret auf, neue Wege zu gehen und forderte bedingungslose Solidarität ohne Einschränkungen für alle, vom Beschäftigten, Gewerkschaftsmitglied oder auch für die große Zahl Soloselbständige. „Soloselbständige haben niemanden, gegen den sie streiken können und arbeiten oftmals am Rande ihrer Existenz“, so Flügge. Daher müssten auch die Gewerkschaften lernen, weniger betrieblich zu denken. „Lasst uns Verbündete werden“, so Flügge, „denn die Erde braucht neue Spielregeln.“
Sehr viel Zuspruch erhielt er für seine Worte und Viktoria Spiegelberg-Kamens haben die Worte zum Nachdenken angeregt.

Sozial-ökologische Reformen

Und auch Katharina Grabietz, Gewerkschaftssekretärin für Sozialpolitik im IG Metall Vorstand, lobte das, was geleistet wurde in der Krise, sieht aber weiteren Handlungsbedarf. „Die Sozialbaustellen werden immer größer, aber die Politik bleibt in ihren Antworten hinterher“, so Grabietz. In ihren Augen ist eine sozial-ökologische Reform unabdingbar. Einiges sei in der Krise abgefedert worden, so Grabietz, aber es gab auch Dinge, da müssen Unternehmen stärker in die soziale Verantwortung genommen werden. Es kann nicht sein, dass Lufthansa über neun Milliarden Euro an Hilfen erhält und dann dennoch über 20.000 Stellen abbaut. Es kann nicht sein, dass die Autoindustrie in Kurzarbeit geht und dann hohe Dividenden auszahlt. „Da fehlen mir die Worte.“

Auch fordert sie ganz klar, dass die Krise nicht der Ausgangspunkt für eine Sparpolitik sein kann. „Die Pandemie hat die Vermögenden reicher gemacht, alle anderen haben auf den verschiedenen Ebenen verloren“, so Grabietz. Sie hofft auch sehr, dass niemand in eine Vor-Corona-Zeit zurück möchte, denn „zu dieser sozialen Ungerechtigkeit will niemand zurück.“ Eine umfassende sozial-ökologische Agenda sei dringend notwendig. Bei all diesen Reformen sei es zudem wichtig, nicht die Generationen gegeneinander auszuspielen und auch nicht ökologische gegen soziale Themen. Es geht nur gemeinsam, wenn das Wirtschaftssystem nicht mehr auf Profit und Wachstum ausgelegt ist, was einhergeht mit Ausbeutung. „Lasst uns gemeinsam dagegen kämpfen“, so ihre abschließende Forderung.

Maikundgebung
Katharina Grabietz, Gewerkschaftssekretärin für Sozialpolitik im IG Metall Vorstand

Neben den Gewerkschaften, welche sich solidarisch für die Gesellschaft einsetzen, braucht es auch Menschen außerhalb. „Solidarität ist die Grundlage unserer Demokratie“, so Spiegelberg-Kamens. Daher freute sie sich, dass Sebastian Wendt, Vorsitzender von „Wir sind mehr Limburg-Weilburg“, in seinen Grußworten eine klare Kante gegen rechts und Verschwörungstheorien einforderte. Ebenfalls einen Beitrag leisten Bündnis Courage. In ihren Grußworten forderte Marita Salm nicht nur eine nationale, sondern eine internationale Solidarität.

Die gesamte Kundgebung könnt ihr euch auch auf YouTube ansehen.

Die Rede von Erik Flügge gibt es auch zum Nachlesen auf Facebook

 


 

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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