Mutmachergeschichten: Situationen annehmen

Corona wirkt auf alle Lebensbereiche ein. Mit den #Mutmachergeschichten gibt es Einblicke in die verschiedenen Themen, die von dem Virus beeinflusst sind und wie die Menschen damit umgehen.

Corona hat unser aller Leben eingeschränkt. Das Verhalten in der Pandemie wird nochmal stärker beeinflusst, wenn man ein Kind mit Immunschwäche hat. Für die Familie von Simone Braunsdorf-Kremer bedeutet dies, dass sie sich seit März 2020 in Selbstisolation befinden.

Freiwillig in Selbstisolation

Simone Braunsdorf-Kremer ist sehr aktiv in den sozialen Netzwerken. Dort nimmt sie die Menschen mit und sensibilisiert für den seltenen Gendefekt MOPD Typ 1 ihres sechsjährigen Sohnes Jonathan. MOPD Typ 1 oder auch Mikrozephaler Osteodysplastischer Primordialer Kleinwuchs ist eine seltene Form der Kleinwüchsigkeit, bei der der Kopf viel zu klein ist und das Hirn sowie die Knochen fehlgebildet sind. Zudem geht dieser Gendefekt mit einer Immunschwäche einher.
Als Simone Braunsdorf-Kremer im Januar 2020 von dem neuartigen Virus in China hörte, wurde sie hellhörig. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis der Virus auch in Deutschland ankomme.

Sie begann, sich damit auseinanderzusetzen und sich zu informieren. Und als sich dann abzeichnete, dass der Virus die Lunge befällt und immungeschwächte Menschen besonders gefährdet sind, verfolgte sie die Nachrichten noch intensiver. Zumal Jonathan Ende des Jahres 2019 schwer an einer Hirnentzündung erkrankt war und sein Leben an einem dünnen Faden hing. Als im Februar das Virus das erste Mal in Heinsberg, Deutschland nachgewiesen wurde, setzte sie sich mit dem führenden Forscher und dem Kinderarzt in Verbindung. Beide vermuteten, dass das Virus für Jonathan gefährlich werden könnte und so ging die Familie am 2. März in die Selbstisolation.

„Fenster zum Hof“

Familie und Freunde haben diesen Entschluss damals mitgetragen und tragen ihn bis heute mit. Doch Simone Braunsdorf-Kremer sagt auch ganz klar, dass es langsam Zeit wird, dass es rum ist. Auch wenn sie jetzt schon wieder mehr nach draußen gehen, achten sie immer auf Abstand und suchen Zeiten, wo noch nicht so viel los ist. Vom normalen Leben sind sie noch weit entfernt und werden es auch noch sein, bis eine Herdenimmunität erreicht ist. Und dennoch waren alle für die Familie da. Recht schnell eröffnete die Familie das „Fenster zum Hof“. Besuch durfte sich im Hof aufhalten und durch das Küchenfenster wurde sich ausgetauscht. Ein geringer Ersatz für das, was vorher war. „Mir fehlt am meisten, Familie und Freunde zu umarmen und mit ihnen gemeinsam zum Essen an einem Tisch zu sitzen“, erzählt Braunsdorf-Kremer. Durch die Selbstisolation fiel dann auch die Hilfe für die Familie weg. Damit niemand von außen den Virus mit ins Haus bringt, verzichtet die Familie seit einem Jahr auf die Putzhilfe. Und die Großeltern, die der Familie bei der Betreuung von Jonathan halfen, fielen auch erstmal weg.

Simone, Jonathan und Andreas

Situationen annehmen

Und so kennt die Mutter in dieser ganzen Zeit auch Momente, wo die Kraft fehlte und sie nicht mehr konnte. In den letzten Wochen nahm der Wunsch nach Normalität und etwas weniger aufeinander hocken zu. In den ersten Wochen der Pandemie machten sie zudem eine Therapiepause für Jonathan. „Es war uns alles zu riskant.“ Nach drei Monaten nahmen sie die verschiedenen Therapien langsam wieder auf wie die Reittherapie und die Physiotherapie. Die Logopädie findet derzeit nur online statt. Für die Familie war dies auch eine Art Entschleunigung und Braunsdorf-Kremer muss zugeben, dass diese der gesamten Familie wohltat. Diese Ruhe war auch gut für Jonathan, der sich so in seinem eigenen Rhythmus entwickeln konnte.

Es hört sich alles sehr belastend an, doch Simone Braunsdorf-Kremer war nach eigener Aussage schon immer eine Frau, die die Dinge, welche sie nicht ändern konnte, annahm und versuchte, damit zurechtzukommen. „Ich bin einfach froh, wenn wir alle gesund sind“, so die Mutter, „wir haben Ende 2019 so um das Leben von Jonathan gebangt und sind froh über jeden Tag, wo wir mit unserem Kind lachen können.“ Eine große Erleichterung war für sie, als sie endlich ihre Impfung erhielt. Sie stand weinend im Impfzentrum, erzählt sie lachend. „Ich war erleichtert und es gab mir ein Gefühl von Freiheit.“ Es gehe ja nicht nur darum, Jonathan vor der Krankheit zu schützen, sondern auch sie müssen gesund bleiben, um sich um ihn kümmern zu können.

Auswirkungen auf den Verein

Neben den Auswirkungen auf die Familie wirkte sich Corona auch auf ihren Verein „Walking with Giants Deutschland“ aus. 2019 hatten sie das erste Familientreffen und letztes Jahr sollte das zweite Treffen stattfinden. Doch leider musste dieses abgesagt werden. Seit 2019 kamen zudem viele neue Familien hinzu und sie konnten sich bisher in echt nicht kennenlernen. Vor allem für die Kinder ist es wichtig, nicht immer nur die Kleinsten zu sein, sondern anderen Kindern auf Augenhöhe zu begegnen. Im letzten Jahr sollte auch das Forschungsteam anreisen, damit jede Familie die Chance bekäme, ihre Fragen direkt zu stellen. Dies ist ein medizinischer Verlust für die Familien gewesen, auch in Anbetracht dessen, dass die Kinder mit diesem Gendefekt nicht sehr alt werden. Da kann ein Jahr viel Zeit bedeuten.

Durch die Selbstisolation konnte sich der Verein nicht so in der Öffentlichkeit präsentieren, was sich wiederum an den Spenden bemerkbar machte. Und leider mussten sie auch Franziska, ein betroffenes Mitglied des Vereins, gehen lassen und konnten sie als Vereinsfamilie nicht so verabschieden, wie sie es normal getan hätten. Hier hat es der Vereinsvorsitzenden sehr weh getan, dass die Eltern ihre 30-jährige Tochter im Krankenhaus nicht begleiten durften und erst zu ihr gelassen wurden, als absehbar war, dass sie stirbt. Es macht sie traurig, dass es durch Corona zu solchen Einschränkungen kam.

Insgesamt ist sie jedoch froh, dass ihre Familie es bisher so gut überstanden hat. Und sie denkt, die Zeit ist endlich. Und das ist auch ihr einziger Wunsch – endlich wieder Normalität.

Vielen Dank für die Fotos. Das Schwarz-Weiß-Foto ist von PIERRE STEINHAUER

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

2 thoughts on “Mutmachergeschichten: Situationen annehmen

  • 28. Mai 2021 um 20:40
    Permalink

    Da Virus wurde in Deutschland übrigens das 1. Mal in Bayern (Januar) nachgewiesen, nicht in Heinsberg.

    Antwort
  • 31. Mai 2021 um 12:33
    Permalink

    Tolle Idee, Deine Mutmachergeschichten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Porträts von Menschen aus dem Umkreis, aus der gleichen Stadt, dem gleichen Dorf, sehr gerne gelesen werden. Es „menschelt“, und das ist doch genau das, was den meisten in der Zeit der Pandemie fehlt, die Nähe zu den anderen. Und das wird mit Deinem Geschichten sehr gut aufgefangen.
    Mach weiter so!
    LG
    Sabine

    Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert