Nicht nur in Hadamar….. Blick nach Weilmünster

Nicht nur in Hadamar wurden Menschen während der NS-Zeit ermordet. Keine 50 Kilometer weiter fanden in der „Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster“ Verbrechen gegen die Menschen statt. Eine Aufarbeitung der Geschichte fand in den 90er Jahren statt. Doch sie geriet wieder etwas in Vergessenheit. Dr. Peter Sandner hielt auf Einladung des Vereins „Weilburg erinnert“ einen Vortrag zur Geschichte von Weilmünster in der NS-Zeit.

Bereits 2019 kam das Klinikgelände in den Blick der Öffentlichkeit. Pläne für einen Umzug von der Vitos-Klinik nach Weilburg gelangten an die Öffentlichkeit. Danach kehrte wieder etwas Ruhe ein. Bis es darum ging, wie eine nachfolgende Nutzung der Klinikgebäude aussehen könnte.

Weilmünster Klinik
Mahnmal am Eingang des Klinikgeländes

Würdiges Gedenken in Weilmünster

Die Rede von Eventlocation und ausgebauten Freizeitpotential rief Organisatoren auf den Plan, die vor einem Missbrauch der Örtlichkeit warnten. Es war gar nicht so im Bewusstsein der Öffentlichkeit, dass die ehemalige „Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster“ in der NS-Zeit eine besondere Rolle als Zwischenanstalt für Hadamar galt und auch in der Anstalt selbst Menschen ermordet wurden. Insgesamt wurden in Verbindung mit Weilmünster mehr als 6.000 Menschen in der NS-Zeit ermordet. „Wir fordern die Verantwortlichen der Gemeinde Weilmünster und der Vitos Weil-Lahn gGmbH auf, von diesen Planungen Abstand zu nehmen und einen würdevollen und angemessenen Gedenkort in die Planungen mit einzubeziehen“, so die Unterzeichner.

Vitos Weil-Lahn reagierte darauf und gab bekannt, dass das Andenken an die Opfer sehr wohl bewahrt werden soll. Seitdem ist dies auch mehr Thema in der Steuerungsgruppe, die sich mit eventuellen Plänen einer Nachfolgenutzung beschäftigt.
Bürgermeister Mario Koschel, welcher auf Einladung von „Weilburg erinnert“ räumte ein, dass ihn dieses Thema erst seit einigen Monaten beschäftigt. Er wünscht sich eine bessere Aufarbeitung der Geschichte, da sei noch nicht genügend getan wurden. Und es geht auch darum, wie ein würdiges Gedenken an dem Ort gestaltet werden kann.

Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt in der NS-Zeit

Gewinnmaximierung statt Menschenwürde

Als Mitarbeiter des Landeswohlfahrtverbandes an der Gedenkstätte Hadamar kam Dr. Peter Sandner 1991 mit Weilmünster in Verbindung. Er war vor Ort, als die Gedenkstelen errichtet wurden. Der große Friedhof habe ihn bewegt und war Ausgangspunkt für seine Recherchen. 1897 wurde die „Heil- und Pflegeanstalt“ Weilmünster errichtet. In all den Jahren standen weniger die Menschen im Mittelpunkt, die sich dort befanden, sondern die Gewinnmaximierung. Wie kann bei steigender Patientenzahl und gleichbleibenden Pflegepersonal die Einnahmen gesteigert werden, war eine dieser Fragen, die sich die Leitung der Anstalt stellten.

Dr. Peter Sandner, hessischer Landesarchivar

Die Klinik nahm immer weiter Menschen auf. Therapien seien eine Ausnahme gewesen und die Patienten wurden eher mit Medikamenten ruhiggestellt. Und so zeigen die Belegungszahlen allein von 1935 mit 375 Patienten zu 1936 mit 1.000 Patienten einen gewaltigen Anstieg. Ab 1939 war eine Belegung mit über 2.000 Patienten die Regel. Zwar kritisierte eine staatliche Besuchskommission 1938 das ungünstige Verhältnis zwischen Patienten und Ärzte sowie Pfleger. Aber die Anstalt sei ein Musterbeispiel für Sparbestrebungen, wie die ärztliche Leitung es darstellte und so folgten keine Konsequenzen. Mit der Überbelegung nahm auch die Sterblichkeit der Patienten von acht Prozent in 1936 auf 37 Prozent in 1940 zu.

Zwischenanstalt im Euthanasieprogramm

Als 1940 in der Landesheilanstalt Hadamar die sechste NS-Tötungsanstalt für das nationalsozialistische Euthanasieprogramm, auch T4 genannt, eingerichtet wurde, wurden die in den Heilanstalten untergebrachte Patienten flächendeckend erfasst. Alleine 1.500 Bögen wurden in Weilmünster ausgefüllt, in denen erfasst wurde, ob Patienten eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit besitzen oder unheilbar seien. Diese Einordnung entschied über Leben oder Tod. Da nicht alle Menschen direkt zur Ermordung nach Hadamar gebracht werden konnten, wurden neun Zwischenanstalten eingerichtet. Weilmünster war die größte dieser Zwischenanstalten. Menschen, welche auf dem Weg nach Hadamar waren, waren zwischendurch mehrere Wochen in Weilmünster untergebracht.

Von Mitte Januar bis Mitte März 1941 wurden 750 der eigenen Patienten, darunter auch 79 jüdische Patienten, nach Hadamar in die Gaskammer geschickt. „Es liegt nahe, dass diese Verlegungen schnell als Bedrohung empfunden wurden“, so Sandner, „und auch unter dem Personal war schnell bekannt, dass eine Verlegung die Ermordung bedeutete.“ Nur wenigen Familien gelang es, ihre Angehörigen aus Weilmünster herauszuholen und zu retten. Insgesamt wurden 2.595 Menschen aus Weilmünster nach Hadamar verlegt und ermordet. Worauf Sandner in seinem Vortrag hinwies, dass dafür mitnichten neues Personal eingestellt wurde, sondern dass das Personal das Gleiche war wie vor den Verlegungen.

Hungertod und schlechte Hygiene

In der dezentralen Phase endete die Funktion als Zwischenanstalt, aber dennoch war die Anstalt permanent überbelegt. Die Menschen, die nach Weilmünster kamen, wurden „teilweise wie Vieh transportiert“. Die Sterberate war hoch. Rund 50 Prozent der Patienten verstarb jedes Jahr in Weilmünster, was nicht nur auf die schlechte Versorgung durch die Kriegsjahre zurückzuführen ist. Es gab gezielten Nahrungsentzug, der zum Hungertod führte. Wenige Zeugnisse darüber sind vorhanden. Jedoch existiert ein Brief von Ernst Pudzki, der von den Zuständen berichtete (in einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des NS im Bundestag las Sebastian Urbanski diesen Brief vor). Neben dem ständigen Hunger berichtete Pudzki von wenig Hygiene und keiner Beschäftigung für die Patienten. Zudem gibt es Indizien, dass einige Patienten gezielt durch Medikamente getötet wurden. Einige Gehirne schickten die Ärzte zu Forschungszwecken nach Heidelberg. Insgesamt kamen rund 6.000 Menschen ums Leben.

Die Publikation von Dr. Peter Sandner „100 Jahre Krankenhaus Weilmünster“ findet ihr auf der Seite vom LWV – Band 4

Kein Strafprozess gegen den Direktor

Zwar wurde auch direkt 1945 durch eine Patientin ein Strafverfahren gegen den Direktor Dr. Ernst Schneider eingeleitet. Doch es führte zu keinem Strafprozess, da die Tötungen nicht eindeutig nachgewiesen werden konnten und den Aussagen der Patienten wurde kein Wert beigemessen.
Seit 1991 steht direkt vor der Klinik ein Mahnmal. Eine Arbeitsgruppe innerhalb des Landeswohlfahrtsverbandes arbeitete die Geschichte auf und erstellte 1998 eine Ausstellung im Haus 105, wo diese bis heute untergebracht ist. Die letzte Bestattung war 1996 auf dem Friedhof. Danach erfuhr dieser eine umfangreiche Umgestaltung.

Gedenkgräberanlage Weilmünster
Gedenklandschaft auf dem Friedhof Weilmünster

Das Gelände wurde von Büschen und Hecken befreit und es wurde eine Gedenklandschaft installiert. Zu finden sind die Namen der ermordeten Personen sowie einzelne Schicksale. Für die Zukunft sieht Sandner, dass der Friedhof in Würde erhalten bleiben muss und die Gebäude auf dem Gelände angemessen genutzt werden. Auch würde er sich wünschen, dass das Informationsangebot ausgebaut wird, um die Erinnerung an die Opfer zu bewahren.

Arbeiten auf dem Friedhof

Baumfällarbeiten im Februar

Neben dem Klinikgelände an sich rückte auch der Friedhof der Klinik wieder in das Interesse der Öffentlichkeit. Ende Februar fanden Baumfällarbeiten auf dem Friedhof statt, welche augenscheinlich eine Furche der Verwüstung hinterließen. Diese fanden vor allem auf den Flächen statt, wo Opfer aus den Jahren 1943 bis 1945 beerdigt sind.

Friedhof Weilmünster
Baumfällarbeiten im Februar

Auf Nachfrage bei der Pressestelle von Vitos Weil-Lahn wies diese darauf hin, dass der große Baumbestand auf dem Friedhof durch die Trockenheit der letzten Jahre sowie Schädlingsbefall geschädigt waren und ein gefahrloser Besuch des Friedhofs damit nicht mehr gewährleistet war. Um das Gelände nicht für zehn Jahre komplett zu sperren, mussten sie innerhalb von zwei Jahren zur Sicherung der Verkehrspflicht gefällt werden. „Der Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV) möchte und muss nach dem Gräbergesetz sicherstellen, dass das Gelände zugänglich bleibt. Daher war es unumgänglich, die Bäume zu fällen“, so die Pressesprecherin Susanne Rosa.

Schonendes Arbeiten auf dem Friedhof

Dabei stand immer im Fokus, so schonend wie möglich und gleichzeitig so sicher wie nötig zu arbeiten. Der LWV übertrug die Instandhaltungsmaßnahmen 2005 an Vitos Weil-Lahn. Diese engagierte eine Fachfirma für die Arbeiten, wobei ein behutsames Vorgehen im Mittelpunkt stand. Der Plan war, die 80 Bäume durch eine spezielle Klettertechnik zu fällen, bei der sie stückweise abgesägt und abgetragen werden. Zu Beginn der Arbeiten stellte die Firma allerdings fest, dass die notwendige Stabilität der Bäume nicht mehr gegeben war. Ein Beklettern der Bäume war zu gefährlich und nicht vereinbar mit den Anforderungen der Arbeitssicherheit. Um die Arbeiten dennoch so schonend wie möglich und gleichzeitig so sicher wie nötig auszuführen, wurden die Bäume mit Hilfe eines Minibaggers mit Greifvorrichtung gesichert und manuell per Motorsäge gefällt. Für den Abtransport des gefällten Holzes musste ebenfalls eine kleinere Forstmaschine eingesetzt werden.

Freidhof Weilmünster
Gedenklandschaft Friedhof Weilmünster

Die vorhandenen Grabsteine und Grabmäler blieben unbeschädigt. Vorübergehende Flurschäden, wie beschädigte Gehwegplatten, Fahrspuren oder Baumschnitt sollten nach Abschluss der Arbeiten beseitigt werden. Die Baumstümpfe werden bodennah abgesägt und bleiben bestehen; es wird keine tiefen Bodeneingriffe geben. Bei einer Besichtigung des Friedhofs mit einem Forstexperten konnte bestätigt werden, dass die Fällungen mit der schonendsten Methode ausgeführt wurden, die bei diesen Rahmenbedingungen möglich war. Er bestätigte, dass ein Maschineneinsatz unvermeidbar war. Bereits im Februar zeichnet sich ab, dass weitere Bäume derart erkrankt sind, dass nicht stehen bleiben können.

Keine perspektivischen Planungen

Diese weiteren Baumfällarbeiten finden gerade statt, so dass die Gedenkgräberanlage heute und auch morgen für Besuche gesperrt ist. Das Bundesnaturschutzgesetz untersagt eine Baumfällung von März bis September. Da jedoch Gefahr in Verzug ist, hat die Untere Naturschutzbehörde die Maßnahme für das Gedenkareal genehmigt. Zuvor hat ein Sachverständiger überüberprüft, dass sich in den betroffenen Bäumen keine Brutnester befinden. „Bei den anstehenden Arbeiten wird zudem der Besonderheit des Ortes Rechnung getragen und die Arbeiten werden so schonend wie möglich und gleichzeitig so sicher wie nötig ausgeführt“, so die Pressesprecherin.

Auf die Nachfrage, was mit der Fläche jetzt geplant ist, antwortete Susanne Rosa, dass es derzeit keine perspektivischen Planungen für die Gedenkgräberanlage gibt. Dennoch möchte sich Vitos Weil-Lahn mit dem LWV mit der zukünftigen Gestaltung beschäftigen. Zwischenzeitlich ist die Waldwiese durch Einsaat wieder hergestellt.

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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