Pfarrer Steffen Henrich: „Ich wünsche mir, dass alles wieder normal wird!“

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Pfarrer Steffen Henrich als Pfarrverwalter in Elz. Am 1. August 2019 trat er seine Stelle an. Aus Frankfurt kommend sprach ich mit ihm übers Ankommen, die besonderen Herausforderungen der Zeit und zukünftige Pläne.

Pfarrer Henrich schätzt die Traditionen, die ländlichen Strukturen und ist an Corona gewachsen. Und obwohl viel realisiert wurde in dieser herausfordernden Zeit, wünscht er sich die Normalität zurück.

Ankommen in der neuen Gemeinde

Sind sie in der Gemeinde angekommen?

Pfarrer Steffen Henrich: Ja, doch. Ich fühle mich wirklich wohl hier und habe das Gefühl, hier gut aufgenommen worden zu sein. Ich muss auch dazu sagen, dass es ein ganz anderes Jahr war, als wie ich mir vorstellen konnte. Auf der anderen Seite hat es viele Chancen geboten, neue Dinge zu machen. Aber ja, ich bin hier angekommen.

Sie sind nicht hier aus der Region und kannten vorher auch niemanden hier?

Pfarrer Steffen Henrich: Das stimmt, ich glaube aus Elz kannte ich keinen.

Was war im Ankommen die größte Herausforderung für Sie?

Pfarrer Steffen Henrich: Es ist für mich die erste Stelle als Pfarrverwalter, wo ich die Leitung über die Verwaltung habe. Das hatte ich vorher noch nie. Aber das sehe ich nicht als Herausforderung. Mit Ursula Laux, stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrates, die ihr Amt seit Jahrzehnten macht und Herr Ries als Fachmann vom Ordinariat, und alle Menschen im Verwaltungsrat habe ich die Chance, zu lernen. Dafür bin ich sehr dankbar. Wenn dies nicht so wäre, wäre dies die größte Herausforderung gewesen. Ansonsten ist es eine Herausforderung, alles kennenzulernen, was man hier machen kann. Aber ich erlebe die Elzer nicht als Blechköpfe, wie ihnen immer nachgesagt wird.

Gab es zu Beginn dennoch Skepsis oder überwog die Freude, dass wieder jemand vor Ort ist?

Pfarrer Steffen Henrich: Da muss ich echt überlegen. Ich habe es nicht so erlebt. Die Leute waren eventuell überrascht, dass jemand hier im Pfarrhaus wohnt, denn das hatte niemand so erwartet. Aber ansonsten nein. Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen neugierig auf mich sind. Ich habe es nicht erlebt, dass sich jemand groß über etwas beschwert hat.

Sie nahmen von Anfang an in der Gemeinde an den Aktivitäten teil, egal, ob kirchlich oder weltlich. Sie waren überall präsent und haben das Gespräch gesucht. Wie würden Sie denn die Gemeinde beschreiben?

Pfarrer Steffen Henrich: Ein riesiger Vorteil war es für mich, in der Feuerwehr engagiert zu sein. Dies öffnet einem viele Türen, wo man viele Menschen kennenlernt. Ich bin dankbar, dass die Gemeinde so traditionell ist. Das soll auch nicht altbacken klingen. Die Kirmes hat einen hohen Stellenwert und da kann ich gut ansetzen. Manche Traditionen sind auch sehr flach geworden, aber gerade in diesem Jahr konnte man sehen, dass man wieder in die Tiefe gehen kann. Ich fand es sehr gut, dass die Politiker von der Kirchweih gesprochen haben und für mich war klar, dass es hier noch eine Rolle spielt.

Das habe ich so in Frankfurt nicht erlebt. Da gab es von etlichen Politikern Grußworte zur Kerb, aber keiner sprach von der Kirchweih. Daran kann ich andocken und fragen, worum geht es uns eigentlich. Auch sehr schön ist es, dass die Gemeinde ländlich, aber auch schon städtisch geprägt ist. Ich fühle mich nicht wie auf dem tiefsten Land, aber gleichzeitig auch nicht wie in der tiefsten Stadt. Das macht das Wohnen sehr angenehm. Wenn ich durch die Straßen gehe, kennen einen die Leute irgendwann. Das finde ich großartig. Ich gehe sehr gerne zu älteren Leuten und in den Kindergarten. Ich finde es inzwischen lustig, wenn mich die Kinder auf der Straße oder beim Einkaufen mit „Hallo Pfarrer“ grüßen.

Herausforderung Corona

Jetzt kam im März direkt die Herausforderung Corona. Hatten Sie im Lockdown das Gefühl, den Draht zur Gemeinde zu verlieren? Oder wie haben Sie Kontakt zur Gemeinde gehalten?

Pfarrer Steffen Henrich: Ich habe weiterhin Gottesdienste gefeiert mit den Schwestern aus Limburg, wir waren zu viert. Ich habe dann immer dafür gesorgt, dass die Glocken morgens läuteten.

Aber Sie durften doch nicht in Haushalte und zu den Menschen direkt?

Pfarrer Steffen Henrich: Das war mit das Schwerste. Der große Draht war mit den Glocken morgens. Beim ersten Mal erhielt ich Nachrichten der Feuerwehrkameraden, was denn los sein, weil die Glocken läuteten. Dann habe ich dies beantwortet und alle waren hellauf begeistert. Da haben sich viele Leute mitgenommen gefühlt. Meine Sonntagspredigten habe ich als Impulse in der Kirche ausgelegt. In der Regel wurden fast alle hundert Blätter mitgenommen (mit einem Augenzwinkern), ich weiß nicht, ob mir so viele Leute zuhören, wenn ich predige.

Am schwersten fielen mir tatsächlich die fehlenden Besuche. In der Woche, bevor der Lockdown war, hatte ich die Hauskommunion noch gemacht. In der Regel gehen wir einmal im Monat zur Hauskommunion zu rund 20 Personen und ich persönlich gehe alle zwei Monate, dazwischen die Ehrenamtlichen. Zum Glück war ich kurz vorher bei allen und wäre erst im Mai wieder an der Reihe gewesen. Was mir auch sehr schwer fiel, war das Besuchsverbot im Seniorenheim. Zu dringenden seelsorgerischen Gesprächen durfte ich in die Altenheime. Zum Glück haben wir auch in beiden Häusern, dem SWZ sowie dem Josefshaus, Ehrenamtliche, die die Hauskommunion feiern konnten. Ohne Kontakt habe ich einen kleinen Gottesdienst mit Segen im Josefshaus zu Ostern gehalten. Mit Abstand ging das.

Suchten die Menschen verstärkt über das Telefon den Kontakt?

Pfarrer Steffen Henrich: Nein, das nicht. Aber sie nahmen die Angebote an, welche ich machte. Ich bin Sonntag nachmittags in der Regel eine Stunde in die Kirche gegangen. Und es gab immer Leute, mit denen ich mich unterhalten und zusammen gebetet habe. An Karfreitag habe ich mich in den Pfarrgarten gesetzt und angeboten, dass ich die Beichte abnehme. Ich kam runter und die Menschen standen um die Ecke herum. Ostersonntag habe ich angeboten, die Kommunion nach Hause zu bringen.
Es ist mir jedoch wichtig, dass ich all die Dinge nicht alleine gemacht habe. Wir haben diese immer zusammen gemachte mit der Pastoralreferentin Renate Ruß und den Mitgliedern des Pfarrgemeinderates.

Als es losging und öffentliche Gottesdienste verboten wurden, dachte ich in meiner Naivität, dass es mit Anmeldung und wenigen Leuten möglich sein muss. Also habe ich das Angebot gemacht, dass gesunde Menschen unter 60 Jahre sonntags am Gottesdienst teilnehmen dürfen. Sie sollen sich vorher bei mir anmelden. Rund 20 Leute nahmen dieses Angebot an. Ich habe dann jeden Sonntag zwei Leute angerufen und diese eingeladen. Dabei war noch der Küster, die zwei Leute mit Abstand sowie die Organisten. Mit einer minikleinen Gruppe habe ich Gottesdienste gefeiert. Und ich musste trotzdem in der leeren Kirche ein Mikrofon nutzen, damit mich alle hören. Dies war schon ein Stück weit skurril. Einmal bin ich sonntags rausgekommen und da stand eine Dame vor der Kirche, die dem ganzen Gottesdienst lauschte.

Wie ist es jetzt, wo wieder Gottesdienste gefeiert werden dürfen?

Pfarrer Steffen Henrich: In der Regel sind alle Plätze ausgebucht. Normalerweise geht es in den Ferien runter, aber in diesen Ferien gingen die Zahlen hoch. Beide Messen sind ausgebucht. Zu den 76 Besuchern kommen die Ordner, Küster, Messdiener, Organist und Sänger, Lektor, Kommunionhelfer und Priester. Das sind dann nochmal rund 14 Personen, die hinzukommen. Am Wochenende haben wir in der Regel 180 Menschen in den beiden Messen da. Vor Corona hatten wir ungefähr im Schnitt 300 bis 350 Besucher. Inzwischen haben wir auch in den Altenheimen wieder regelmäßig Gottesdienste.

Steady

Gab es etwas während Corona, dass Sie gerne mitnehmen, auch wenn alles wieder normal läuft?

Pfarrer Steffen Henrich: Momentan läuft es noch nicht normal, daher ist es eine gute Frage. Wir haben viel gemacht in der Zeit, was gut geklappt hat und schön war. Aber bei vielen Dingen muss ich auch sagen, es wäre schön, wenn es wieder normal läuft. Am ehesten vielleicht noch die Kirmes. Die Open-Air-Messe auf dem Rathausplatz fand ich sehr schön und zu einer anderen Gelegenheit könnte die Messe auch draußen auf dem Platz gefeiert werden. Wir könnten überlegen, welche Feierlichkeiten wir draußen feiern könnten.

Was ich auch sehr schön fand, als ich zu den Abiturprüfungen an die Schule gefahren bin und durch die Räume gegangen bin. Ich habe in jedem Raum etwas Nettes gesagt und den Schülern den Segen gegeben. Da ich nicht weiß, wie es sonst läuft, ist das auf jeden Fall was, wo ich glaube, dass dies eine gute Sache war. Ich kann mir auch vorstellen, die regelmäßigen Gottesdienste in den Altenheimen beizubehalten, was ich vor Corona auch nicht so hatte. Ich war noch nie so regelmäßig in einem Haus und habe Gottesdienste gefeiert. Vielleicht ist dies eine Gelegenheit, die älteren Menschen besser mitzunehmen.

Die Beerdigungen direkt am Grab fand ich auch sehr schön. Nicht, dass ich das jetzt dauerhaft wöllte, aber in gewissen Situationen passt dies. Die Bestatter hatten dies richtig schön aufgebaut, um das Grab standen Stühle, das war viel schöner als in einer öden Trauerhalle. Wir hatten auch immer Glück mit dem Wetter.

Seine Zeit in Elz und wie es weitergeht

Wie lange bleiben Sie in Elz?

Pfarrer Steffen Henrich: Es gibt viele Leute, die meinten, ich sei nur drei Jahre da. Nirgends steht diese Zahl. Ich weiß nicht, woher die kommt. Mein Auftrag geht so lange, bis Elz mit Limburg eine Pfarrei neuen Typs ist. Derzeit peilen wir den 01.01.2023 an. Das wären dann aber vier Jahre insgesamt. Bis dahin bin ich Pfarrverwalter. Was dann kommt, weiß ich nicht und das kann auch keiner sagen. Es wird den Leiter der Pfarrei geben, den kanonischen Pfarrer. Dann gibt es daneben noch die pastoralen Mitarbeiter und in der Regel auch ein bis zwei weitere Priester. Das Bistum hat so grob angepeilt, dass es in jeder Pfarrei neuen Typs zwei Pfarrer geben soll – den leitenden Pfarrer und einen zusätzlichen Pfarrer.

Unsere Pfarrei ist eine der größeren, so dass bestimmt auch zwei weitere Pfarrer neben dem Dompfarrer gibt. Daher wäre es durchaus denkbar, dass ich dableibe. Wobei ich auch sagen muss, dass ich gerade in der Corona-Zeit gemerkt habe, dass Dinge entschieden werden müssen. Ich habe gemerkt, wie gut es ist, wenn man Dinge entscheiden kann, ohne erst um Erlaubnis zu fragen. Ich hatte meine Freude daran, diese Entscheidungen zu treffen und mit allen Beteiligten wie Bürgermeister, Kommune und Ordnungsamt zu klären. So konnte ich entscheiden, eine Abiturfeier in der Kirche zu machen und die Leute zu setzen, wie es gesetzlich möglich ist. So konnte ich Familien zusammensetzen und die Aufteilung ganz anders machen. Ich habe auch Kirchen in Limburg angefragt, da war dies nicht möglich. Ich habe gemerkt, dass ich gerne jemand bin, der etwas machen kann, ohne groß zu fragen.

Wobei es viele Aufgaben waren, die ohne Corona nie auf Sie zugekommen wären?

Pfarrer Steffen Henrich: Ja schon. Aber gerade dabei merkt man ja, was geht und was sinnvoll ist. Ich habe nichts gemacht, was nicht sinnvoll ist. Ich habe mich auch mit den Kollegen immer wieder beraten, was machbar ist. Und danach konnte ich die Entscheidung treffen, ohne noch hundert andere Menschen zu fragen.

Würden Sie dann sagen, dass die Krise auch eine Chance für Sie war, um selbst zu wachsen?

Pfarrer Steffen Henrich: Ja, zumindest auch, um Dinge zu lernen. Und was sie wirklich bewirkt hat, dass man kreativ sein musste. Was ich total wichtig fand vom ersten Moment der Krise an, dass ich gesagt habe, dass es fatal ist, als Kirche nicht mehr zu den Leuten hinzugehen. Ich glaube, wenn ich mich hier hingesetzt hätte und nichts mehr gemacht hätte, hätte keiner etwas gesagt. So war es aber meine Herausforderung und im Team, uns zu überlegen, was wir machen können. Für die Kinder der Erstkommunion gab es Bastelpakete. Die Gruppenleiter haben bei der Verteilung geholfen.

Es gab Aktionen für die Altenheime. Wir haben uns ständig Gedanken gemacht, was wir machen können, um an unsere Zielgruppe zu kommen. Wie können wir präsent bleiben. Auch wenn wir den Kontakt meiden mussten, war ich der Meinung, dass die Distanz nicht zu einer sozialen Distanz werden darf. Denn dann wird der Mensch schnell asozial. Trotz Distanz wollten wir eine geistige Nähe erzeugen und zeigen, dass wir da sind.

Ich war aber auch heilfroh, als ich das erste Mal wieder zu den Menschen zur Hauskommunion gehen konnte. Von den Älteren wurde ich teilweise im April angerufen, ob ich nicht kommen könnte. Die Ehrenamtlichen haben aufgrund von Corona ausgesetzt. Und dann war ich sehr kurz da mit allen Regeln. Denn eine Vereinsamung ist am Ende auch eine Gefahr. Ich habe ein paar Mal die Erfahrung im Gespräch mit Älteren gemacht, dass sie mich fragten, was sie falsch gemacht hätten, weil sie nicht mehr besucht wurden. Sie haben es teilweise nicht verstanden, was passierte. Das kam immer wieder.

Haben Sie Wünsche für die nächste Zeit?

Pfarrer Steffen Henrich: Ja, dass es wieder normal wird. Weihnachten ist die nächste große Herausforderung für uns. Für St. Martin wird es Möglichkeiten geben, aber Weihnachten. Bei dem Wetter können wir mit einer Christmette nicht nach draußen gehen. Für die Kinder gibt es Überlegungen, draußen etwas zu machen. Ich weiß nicht, wie es die Leute empfinden, wenn wir keine Adventslieder gemeinsam singen können. Ich hoffe, dass wir wieder in irgendeiner Weise miteinander singen können. In Bayern darf man mit Maske singen. Dann singe ich lieber mit Maske als gar nicht.

Ich wünsche mir und hoffe, dass wir am Ende nicht zu viel verlieren als Gesellschaft. Wenn alles wieder normal wird und die Leute trotzdem auf Distanz bleiben. Ich hoffe, dass diese Veränderungen nicht zu tief gehen, dass wir wieder beieinanderstehen können. Und ich wünsche mir, dass alles gut läuft mit der Pfarreiwerdung. Ich bin gerne hier und freue mich auch, wenn ich die nächsten drei Jahre noch dableiben kann. Und was danach kommt, werden wir sehen.

 

 

 

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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