Podiumsdiskussion „Hat der Laienchor eine Zukunft?“

Noch sehen die Chöre optimistisch in ihre Zukunft und sind der Meinung, dass es sie auch in zehn Jahren noch geben wird. Dennoch hat sich das Chorwesen und die damit verbundenen Vereine verändert. Auf diese Veränderungen muss reagiert werden. Diesem Thema nahm sich der MGV Liederblüte Oberweyer an und lud zusammen mit dem Sängerkreis Limburg zu einer Podiumsdiskussion.

Rund 70 Sänger*innen und Chorleiter*innen folgten der Einladung zur Podiumsdiskussion, um gemeinsam mit Experten zu diskutieren, wie es um die Zukunft der Laienchöre bestellt ist. Auf dem Podium saßen Domchordirektorin Judith Kunz, Chorleiter Jürgen Faßbender, die Vorsitzende des Musikausschusses des Kreischorverbandes Unterlahn Bettina Scholl, Claus Peter Blaschke, der Präsident des Hessischen Sängerbundes und Vizepräsident des Deutschen Chorverbandes sowie der neue Erste Kreisbeigeordnete Jörg Sauer als Mitglied kulturfördernder Vereine. Moderiert wurde die Diskussion vom HR-Journalisten Andreas Bomba.

Im Hessischen Sängerbund gibt es rund 2200 aktive Chöre. Im Sängerkreis Limburg gibt es 68 Vereine mit 90 verschiedenen Chorgattungen. Sie alle kämpfen mit den gleichen Problemen – auch in Zukunft attraktiv für neue Sänger*innen zu sein. Sie haben in unterschiedlichen Ausprägungen die gleichen Sorgen und Nöte, aber sie alle eint die Freude am gemeinsamen Singen.

Veränderte Gesellschaft

Bevor es um die Zukunft der Chöre ging, gab es eine Bestandsaufnahme des Ist-Zustandes. Alle waren sich einig, dass sich die Gesellschaft verändert hat. Die Menschen sind heute mobiler und sind nicht den ganzen Tag in ihrem Ort. Sie pendeln zum Arbeiten, haben teilweise längere Arbeitszeiten. Das ganze noch gepaart mit einem Überangebot an Möglichkeiten, so dass dies alles Einfluss auf die Gestaltung der Freizeit hat. Wichtig bei den Laienchören ist die Gemeinschaft. Deswegen kommen die Menschen in die Vereinschöre, um Gemeinschaft zu erleben. Für manche ist zu Beginn die Hürde, jetzt wöchentlich zu den Proben zu gehen, recht hoch, weiß Bettina Scholl. Aber nach einigen Wochen möchten sie diese Chorprobe nicht mehr missen.

Claus Peter Blaschke wies darauf hin, dass es nicht nur darum geht, perfekt zu sein und nur in hoher Qualität zu singen. Auch Chöre, welche nicht so perfekt sind, haben ihren Wert, denn die Menschen finden in der Gruppe Anerkennung, Wertschätzung und auch Hilfe. Es ist das Gesamtpaket, welches die Menschen zu den Chören zieht und da gehört auch das Vereinsleben um das Singen dazu. „Ich bin der Meinung, dass es auch in 20 Jahren noch Chöre geben wird“, so Blaschke, „vielleicht ist die Struktur anders, aber gesungen wird weiter.“

Andreas Bomba (li) und Claus Peter Blaschke

Gute Chorleiter

Wenn ein Chor auch in Zukunft attraktiv bleiben möchte, muss er sich überlegen, was er seinem Publikum serviert, so Jürgen Faßbender. Und damit kommt dem Chorleiter eine große Aufgabe zu. Er muss die Literatur für seinen Chor aussuchen, ihn fordern und fördern. „Heute ist dies einfacher als früher, da es unglaublich viele Möglichkeiten gibt, sich Literatur zu beschaffen“, so der heimische Chorleiter. Auch sollten Weiterbildungsangebote der Verbände ergriffen werden. Daher sei der Chorleiter ein Schlüssel zum Erfolg eines Chores. Da hakte Judith Kunz allerdings ein. Ja, es gebe viele Angebote und hauptamtlich tätige Chorleiter hätten auch die Zeit, um die Vielfalt an Chorliteratur zu scannen. Für einen nebenberuflichen Chorleiter fehle die Zeit und sei dies gar nicht zu leisten.

Womit auch die Überleitung gegeben war, dass Chöre sich an professionelle Chorleiter wenden sollten, welche aber wiederum Geld kosten. Es sei ein schwieriges Thema, so Bettina Scholl. Die Chöre kämpfen mit Mitgliederschwund und leeren Kassen. Dann fehle häufig die Einsicht, viel Geld für einen Chorleiter auszugeben. „Rein nach Stunden sind Chorleiter unterbezahlt und es ist viel Idealismus bei ihrer Arbeit dabei“, so Scholl. Und leider fehle manchmal auch die Wertschätzung dafür, was der Chorleiter alles leistet. Blaschke plädierte dafür, die Arbeit transparenter zu machen und mit den Sänger*innen zu sprechen. Das würde dazu beitragen, Akzeptanz zu erhalten.

Fehlende Wertschätzung für Kultur

Insgesamt fehlt die Wertschätzung für Kultur in Deutschland. In Kindergärten und Schulen werde immer weniger gesungen. Und dann fehlt irgendwann der Nachwuchs. Diese fehlende Wertschätzung fehlt auch in der Politik. Für Prestigeprojekte wird viel Geld ausgegeben, doch die Kultur bleibt dabei häufig auf der Strecke. Jörg Sauer freute sich, dass es wohl in Berlin angekommen sei, da im Koalitionsvertrag der Regierung steht, dass die Kultur mehr gefördert werden soll. Es muss sich jetzt nur zeigen, wie die Umsetzung aussieht. Die Szene muss Lobbyarbeit leisten, um auf die eigenen Belange aufmerksam zu machen.

Es gibt einige Chöre, welche Kinder- und Jugendchöre ins Leben rufen, mit der Hoffnung, dass diese irgendwann in die Erwachsenenschöre übergehen. Doch dies ist nicht so gegeben, weiß Judith Kunz. Kaum eine Sängerin aus ihrem Mädchenchor findet sich später im Erwachsenenchor wieder. Dies liegt mit daran, dass die jungen Menschen beruflich ihre Wege gehen und dann weg sind. Dies bestätigte auch Bettina Scholl. Sie riet deshalb, dass die Kinder breitflächig über die Kindergärten und Schulen ans singen herangeführt werden müssen. Und Kunz weiter, wenn jemand das Singen in der Gemeinschaft kennengelernt hat, dann wird er sein ganzen Leben singen, egal, wo. Faßbender sieht auch die Chöre in der Verantwortung, junge Leute nicht nur in die letzte Reihe zu stellen. „Nehmt die jungen Leute ernst, integriert sie, gebt ihnen verantwortungsvolle Aufgaben und nehmt sie auch sängerisch ernst“, so sein Appell.

Bettina Scholl (li) und Judith Kunz

Nicht alle über einen Kamm scheren

Dabei machten die Podiumsteilnehmer auch immer wieder darauf aufmerksam, dass nicht alle Chöre über einen Kamm geschert werden dürfen. Es gibt Chöre, die stecken in ihren Traditionen fest und schaffen es nicht, etwas zu ändern. Und dann gibt es Vereine, die pflegen ihre Traditionen, besuchen aber gleichzeitig Fortbildungen, arbeiten an sich und schauen auch mal über den Tellerrand. Und diese haben dann auch die Chance, in der Zukunft weiter zu bestehen.

Gerhard Voss, Vorsitzender vom Sängerkreis Limburg, sieht auch ein Versagen in der Politik, welche die Vereine alleine lassen. Die Vereine haben Schwierigkeiten, ihre Kosten zu stemmen. Sie organisieren Veranstaltungen, um ihre Kosten zu stemmen und erhalten Hürden durch das Finanzamt auferlegt. „Die Politik hat die Basis zu den Chören verloren“, so Voss. Jörg Sauer sieht beim Landkreis zwei Aufgaben. Zum einen kann der Landkreis Lobbyarbeit leisten, um zu vermitteln, dass die Arbeit im Ehrenamt  nicht mehr leistbar ist. Zum anderen besteht der Plan, im Landkreis Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen, die den Vereinen helfen sollen, im Dickicht der Vorschriften einen Durchblick zu erhalten. Faßbender sieht aber auch die Verantwortung bei den Vereinen, die nur ein wenig Eigeninitiative zeigen müssten, um sich an den vielen Töpfen zu bedienen.

Jörg Sauer (li) und Jürgen Faßbender

Welche Bedeutung hat Heimat in Zukunft?

Zum Ende fragte Andreas Bomba noch, wie weit das Thema Heimat in Zukunft eine Bedeutung für die Chöre hat. Bettina Scholl hat über diese Frage noch nie nachgedacht. Sie hat Chöre, wo die Sänger*innen aus 15 verschiedenen Ortschaften kommen. Daher sei es nicht mehr so, dass nur der Chor vor Ort besucht wird. „Da ist weniger Heimat das Thema als der Zusammenhalt“, so Scholl. Im Chor treffen Menschen aller sozialer Klassen aufeinander, was auch ein Stück Heimat schaffen würde. Faßbender ist sich sicher, dass Chor Heimat sein kann, unabhängig vom Wohnort. Für Judith Kunz ist der Chor ein Stück transportable Heimat, wenn der Raum dazugegeben wird. Und Claus Peter Blaschke sieht in einem Chor auch ein Stück zu Hause, ideal deckungsgleich mit dem Wohnort, aber kein Muss.

Klaus Härtle, Vorsitzender des MGV Liederblüte Oberweyer, ist zufrieden mit der Veranstaltung. Es wurde vieles angesprochen, was für die Chöre wichtig ist. Vieles konnte nur oberflächlich angesprochen werden, so dass er sich vorstellen kann, dass es Folgeveranstaltungen geben wird. Im ganzen war es eine gelungene Veranstaltung, welche auch mit einer Spende der NASPA-Stiftung finanziert werden konnte. Damit ein größeres Publikum erreicht werden kann, wurde die Podiumsdiskussion ausgezeichnet und soll bei YouTube veröffentlicht werden.

Weiterlesen: Einen Artikel zum selben Thema findet sich auch im ChorHeute – Das Chormagazin: „Nachwuchs im Chor- der Kampf gegen das Ende vom Lied“


Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

2 thoughts on “Podiumsdiskussion „Hat der Laienchor eine Zukunft?“

  • 18. März 2019 um 10:46
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    Man müsste eigentlich fragen: hat das Musizieren von Laien noch eine Zukunft? Nachdem sich die Hausmusik praktisch fast überall aufgehört hat, sind nun die Chöre an der Reihe. Sogar in der Popularmusik ist ein Trend zu beobachten, der künstlich erzeugten Sounds den Vorrang vor echten Stimmen und vor tatsächlich gespielten Instrumenten einräumt. Die Maschine frisst den Menschen: sie kann alles schneller, besser und fehlerfrei. Also wozu sich noch anstrengen?
    Die Antwort muss in der Befriedigung der eigenen Ansprüche liegen. Und diese Ansprüche müssen gelehrt und genährt werden, gerade bei der Jugend. Aktivität statt Konsum. Selber singen und spielen anstatt sich berieseln oder zudröhnen zu lassen. Die Stars von heute sind die DJ’s, das ist bezeichnend. Aber wer wird sie morgen noch kennen?

    Antwort
    • 18. März 2019 um 11:14
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      Ja das stimmt. Meine beiden Kinder musizieren beide und die Große spielt in einigen Ensembles und Orchestern mit. Da schlägt uns manchmal Unverständnis entgegen für die viele Zeit, welche in die Musik investiert wird. Im Kindergarten kamen die Kinder mit Liedern heim, welche ich noch nie im Leben gehört habe und das Volkslied geht unter. In der Zeit des schnellen Konsums wird es schwierig werden, die Eltern zu überreden, ihren Kindern diese Zeit zu geben.
      Auf der anderen Seite habe ich diese Fastnacht einen Alleinunterhalter erlebt, der Musik per Knopfdruck vom Laptop spielte. Das war grausig und nicht gut gemacht. Eventuell gibt es noch ein Aufwachen und das Erkennen, dass selbstgemachte Musik besser ist.
      Vielen Dank für ihre Meinung.

      Antwort

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