Reichsbürger in Hessen – Zunahme der Bewegung

Ein voll besetzter historischer Saal im Rathaus Elz zeigte das große Interesse an dem Thema. Der Verein „Gegen das Vergessen“ sowie der DGB Limburg-Weilburg haben zu einer Informationsveranstaltung zum Thema „Nur harmlose Spinner? Die Reichsbürgerszene in Hessen“ eingeladen. Über 70 Zuhörer folgten dieser Einladung und erhielten einen umfangreichen Einblick in die Szene.

Anlass für diese Veranstaltung war der 8.Dezember 2022, als in Elz eine Einladung des „indigenen Volkes der Germaniten“ kursierte und zu einer Veranstaltung in einem Café einlud. Dies sei ein Milieu, welches inhaltlich wie auch personell den Reichsbürgern zuzuordnen ist, so Mitveranstalterin Martina Hartmann-Menz zur Begrüßung. Auf diese Einladung hin erfolgte eine große Protestkundgebung, welche ein starkes Zeichen für die Demokratie im Ort war. Doch da über die Reichsbürgerszene recht wenig bekannt sei, war schnell die Idee geboren, mehr darüber zu erfahren. Als Referent konnte Sascha Schmidt vom DGB gewonnen werden, der sich als Politikwissenschaftler seit Jahren mit dieser Szene beschäftigt. Er gab einen sehr umfassenden Einblick.

Reichsbürger-Szene verändert sich

Die Reichsbürger sind nicht neu, sondern gibt es bereits seit Jahrzehnten, doch fristeten immer ein Nischendasein. Dies hat sich Ende letzten Jahres geändert, als es im Dezember die Großrazzia gegen Reichsbürger gab mit etlichen Festnahmen, auch im hessischen Raum. Diese Gruppe, die ins Visier der Überwachung geriet, hatte mutmaßlichen einen Umsturz geplant. „Es findet keine Abgrenzung mehr nach innen statt“, so Sascha Schmidt, „sondern eine gezielte Bekämpfung der BRD.“ Die sogenannten Reichsbürger leben nicht mehr in kleinen Zellen, sondern versuchen in den letzten Jahren massiv, Strukturen aufzubauen und Partisanen zu finden. Zudem treten sie vermehrt mit ihren Ideologien in die Öffentlichkeit.

Dies lässt sich auch mit Zahlen belegen. In Deutschland gibt es rund 23.000 Reichsbürger, in Hessen rund 1.000. Die Zahlen haben sich im Vergleich zu 2016 verdoppelt. Die Altersspanne liegt zwischen 45 und 60 Jahren, dreiviertel der Reichsbürger sind männlich. Rund zehn Prozent der Reichsbürger haben Waffenbesitz. Die Gruppe der Reichsbürger ist sehr heterogen mit einer Vielzahl an Gruppierung – neofaschistisch Denkende, AfD-Sympathisanten, Esoteriker und spirituell Angehauchte.

Tiefes Misstrauen gegen Bundesregierung

Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie Verschwörungserzählungen anhängen und ein tiefes Misstrauen gegen die Bundesregierung haben. Sie erkennen die BRD nicht an, definieren diese als Besatzungskonstrukt, welches fremdbestimmt ist, erzählen von dunklen Mächten und nutzen antisemitische Chiffren. Das Grundgesetz gilt für sie nicht, sie seien freien Menschen ohne Staatszugehörigkeit. Sie beziehen sich alle auf ein Deutsches Reich, leben einen völkischen Nationalismus. Hier kann es je nach Gruppierung zu unterschiedlichen Definitionen kommen, da sie sich auf unterschiedliche Grenzen eines Deutschen Reiches beziehen. „Sie entziehen sich den Gesetzen der BRD, erstellen eigene Dokumente und Pässe“, so Schmidt weiter. Oftmals handelt es sich bei diesen Menschen um Menschen mit einer gescheiterten Existenz. Diese suchen die Verantwortung jedoch nicht bei sich selbst, sondern flüchten sich mit ihrer Enttäuschung in Ideologien.

Früher beschäftigten sie die Behörden mit langen Schreiben. Doch in den letzten Jahren ist eine Tendenz zu erkennen, dass die Gewalttätigkeit in diesem Milieu zunimmt. Mit den Schreiben erfolgen Drangsalierungen bis hin zu Todesdrohungen gegen Behördenmitarbeiter. Bei Hausdurchsuchungen kommt es zu Gewaltdelikten. Mit der Corona-Pandemie kam es zu einer starken Vermischung mit der Corona-Leugner-Bewegung. „Diese war ein Booster für die Reichsbürgerbewegung und führte zu einem Anstieg um zehn Prozent“, so der Politikwissenschaftler.

Gefahr dieser Bewegung

Und diese Bewegung birgt Gefahren in sich, denn es gibt nicht nur die auffälligen Personen, die sich offen äußern. „Wir dürfen die Gefahr durch die Personen, die bisher unauffällig waren, nicht unterschätzen“, so Schmidt. Denn aktuell gebe es einen Trend, dass sich die Szene weiter ausbreitet, die Menschen sich von der Demokratie abwenden, es zur Entstehung von Parallelgesellschaften kommt. Es sei auch nicht möglich, mit diesen Personen zu diskutieren, denn sie ließen sich nicht in ihren Widersprüchen festnageln. „Gebt ihnen keinen Raum für ihre Erzählungen“, so sein Tipp an die Zuhörer.

Es sei wichtig, solche Informationsveranstaltungen durchzuführen, um aufzuzeigen, woran diese zu erkennen sind. Und es sei wichtig, als Gesellschaft und Demokraten zusammenzuhalten, wie mit der Demonstration im Dezember. Und Schmidt warnte auch davor, soziale Probleme und aktuelle Krisen als Begründung dafür zu nehmen, dass diese Menschen in die Ideologien abdriften. „Es ist keine Folge gesellschaftlicher Verfehlungen“, machte er klar, „Menschen suchen einfache Erklärungen, aber es ist nicht immer damit getan.“

Zum Ende kam aus der Runde die Forderung, bestehende Gesetze konsequenter durchzusetzen und dem stimmte Schmidt zu. Der Rechtsstaat muss bestehende Gesetze durchsetzen und nicht nur hinschauen. Und er würde dies mit einem wissenschaftlichen Monitoring begleiten. Denn in seinen Augen sitzen noch zu viele rechte Richter in wichtigen Positionen: „Verfassungsfeinde müssen viel früher aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden.“ Zum Abschluss bedankte sich Martina Hartmann-Menz bei allen Anwesenden und schickte sie mit einer Forderung nach Hause: „Wir müssen die Demokratie verteidigen, sie ist ein fragiles Gut. Seien sie Multiplikatoren der heutigen Veranstaltung.“

 

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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