Stolpersteine verschwunden – Polizei ermittelt

In der Mühlstraße befinden sich nach Pflasterarbeiten des Bürgersteiges vier Stolpersteine nicht mehr an ihrem Platz. Die Gemeinde geht von einer mutwilligen Entfernung aus und hat Strafanzeige wegen Diebstahl bei der Polizei gestellt.

Die Stolpersteine sind ein internationales Erinnerungsprojekt an die Opfer des Nationalsozialismus. Auch in Elz wurden in der Vergangenheit Stolpersteine verlegt, so auch für Isaak und Bella Ellendmann sowie für die beiden Töchter Ruth und Fanny Ellendmann, welche in der Mühlstraße ihren letzten Wohnort hatten. Nach Pflasterarbeiten sind diese vier Stolpersteine nun verschwunden.

Anzeige wegen Sachbeschädigung

Bürgermeister Horst Kaiser hat bei der Polizei eine Anzeige aufgrund von Sachbeschädigung und Schändung eines Denkmals gestellt. Die Pressestelle der Polizei Westhessen bestätigt diese Anzeige. Da es sich nicht nur um einen einfachen Diebstahl handelt, sondern sich an einem Gedenkprojekt vergriffen wurde, sind die Ermittlungen bei den Staatsschutzangelegenheiten angesiedelt. Es geht hier nicht um den materiellen Wert von 480 Euro. Hier geht es vor allem um den ideellen Wert.

Der Künstler Gunter Demnig hat das Projekt Stolpersteine ins Leben gerufen, um an die Opfer der NS-Zeit zu erinnern. Inzwischen hat er 80.000 Stolpersteine in 1265 Kommunen in Deutschland sowie 21 Ländern Europas verlegt. Ein wichtiger Satz, den er bei den Verlegungen immer wieder aus dem Talmud zitiert, ist: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Und so finden sich auf den Steinen neben dem Namen auch die Lebensdaten sowie eine kurze Biografie der Menschen.

700 Stolpersteine verschwunden

Bei ihm nachgefragt, wie oft Stolpersteine verschwinden, kann er diese beziffern auf rund 700 Stück. Eine Aktion ist ihm dabei noch besonders im Gedächtnis. Einmal verschwanden in der Nacht zum 9. November elf Steine in Greifswald und im Netz kursierte der Satz „Greifwald = STOLPERSTEINfreie Zone.“ Und er erinnert sich noch gut an die Reaktionen: „Danach kamen so viele Spenden zusammen, dass wir relativ schnell 36 Stolpersteine neu verlegen konnten und danach ist nichts mehr passiert“, so Demnig.

Aber auch im Westen ist ähnliches passiert. „Auf jeden Fall ist es unser Anliegen, die Steine so schnell wie möglich wiedereinzusetzen“, so der Künstler. Toll findet er es nicht, aber er ist auch nicht groß überrascht. Seiner Meinung nach war mit sowas zu rechnen. „Jüdische Friedhöfe werden geschändet, Gedenktafeln sind nicht sicher und Mahnstätten werden auch angegriffen. Ich erhalte Morddrohungen“, so Demnig abschließend.

Zukünftig stärkeres Augenmerk

Auf Nachfrage, ob nicht im Rahmen der Bauarbeiten die Steine aus Versehen weggekommen sein könnten, antwortet Kaiser, dass das Bauunternehmen schriftlich versichert habe, die Stolpersteine nach den Arbeiten wieder eingesetzt zu haben. Da nach den Pflasterarbeitern jedoch der Gehweg abgesandet wurde, kann es sein, dass niemand etwas bemerkte, denn unter der Sandschicht war erstmal nichts zu erkennen.

Ohne jemanden zu beschuldigen, erinnert sich der Bürgermeister jedoch auch daran, dass es in der Mühlstraße vor der Verlegung der Stolpersteine für die Familie Ellendmann Proteste gab. Und auch während der Verlegung versuchten Bewohner der Straße das Gedenken zu stören, indem sie laute rechtsorientierte Musik erschallen ließen.
Für den Bürgermeister ergibt sich weiterhin, dass die Gemeinde bei kommenden Bauarbeiten ein verstärktes Augenmerk auf die Arbeiten haben wird, wenn Stolpersteine involviert sind. Zukünftig erfolgt eine Dokumentation, an welcher Stelle die Stolpersteine sich befinden und was während der Bauarbeiten mit ihnen geschieht.

Spuren der Familie Ellendmann

Der letzte bekannte Wohnort von Isaak und Bella Ellendmann sowie die beiden Töchter Ruth und Fanny Ellendmann war die Mühlstraße in Elz. Bei den Eltern Isaak und Bella verlieren sich die Spuren. Von Fanny ist bekannt, dass sie 1932 nach Hannover zog. Von dort erfolgte 1938 die Deportation nach Polen. Das letzte Zeugnis über Ruth ist die Abmeldung aus Elz 1934. Bei beiden ist davon auszugehen, dass sie in einem Vernichtungslager oder auf dem Weg dahin ermordet wurden oder ums Leben kamen.
Mehr zur Biografie der Familie erfahrt Ihr aus der Seite „Allemannia-Judaica“.
Mehr zum Stolpersteinprojekt erfahrt ihr hier.

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

2 thoughts on “Stolpersteine verschwunden – Polizei ermittelt

  • 5. Oktober 2020 um 19:41
    Permalink

    Liebe Heike.
    Gratulation.
    Ein sehr wertvoller und wichtiger Beitrag von Dir.
    Das die Verlegung der Stolpersteine damals in der Elzer Mühlstraße so massiv durch das Beschallen mit rechtsextremer Musik eines Anwohners gestört wurde, war mir nicht bekannt.
    Und von den Protesten vor der Verlegung durch Anwohner oder andere Bürger war bislang in der Presse auch nichts zu lesen.
    Gut, das Du diesen schlimmen Vorfall in Deinem Beitrag erwähnt hast und so gut recherchiert hast.
    Denn es ist überaus wichtig, dass dies öffentlich bekannt wird.
    Dieser Diebstahl der Stolpersteine ist ein schlimmer, antisemitischer Akt, denn hier wird das Andenken an Verstorbene/ Ermordete des Naziregimes in den Dreck getreten und ihre Namen sollen wieder verschwinden.
    Damit relativiert man die Morde an acht Millionen Menschen jüdischer Abstammung.
    Es darf niemals passieren.
    Diese Menschen haben es alle verdient, dass man sie niemals vergisst.
    Es muss darüber informiert werden, welch Ausmaß des Judenhasses mittlerweile inmitten der Gemeinde und überall in Deutschland erreicht wurde.
    Man hat es leider gestern beim Anschlag in Hamburg wieder gesehen.
    Ein jüdischer Student wird angegriffen, vor einer Synagoge und fast getötet.

    Wir dürfen nicht wegsehen und wir dürfen nicht schweigen.
    Danke für den Beitrag.
    Liebe Grüße
    Silvia Schneider

    Antwort
    • 6. Oktober 2020 um 5:51
      Permalink

      Liebe Silvia, vielen Dank für Deinen Beitrag. Ich bin da voll bei Dir. Ich hatte damals die störenden Begebenheiten in einem Satz am Rande erwähnt, wollte ihnen aber nicht so viel Gewicht geben mit mehr Platz. Eventuell hätten wir damals schon massiver gegen vorgehen sollen. Ich bleibe auf dran. LG Heike

      Antwort

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