Tag der Pflege: „Es ist längst überfällig, dass sich die Systemrelevanz in der Finanzierung abbildet“

Der Berufsstand der Pflege ist in den besonderen Zeiten in aller Munde. Als Corona-Helden nimmt der Berufsstand der Pflege einen besonderes hohen Stellenwert ein.

Zum Tag der Pflege äußert sich die Pflegedirektorin Martina Weich der St. Vincenz-Kliniken zum neuen Sozialprestige ihres Berufsstrandes in Zeiten von Covid 19 sowie dem Image ihrer Berufsgruppe vor allem auch im politischen Kontext. In den Kliniken trägt sie die Verantwortung für rund 600 Pflegekräfte.

„Krisenbewältigung geht nur gemeinsam und interdisziplinär“

Tag der Pflege: ein Interview mit Pflegedirektorin Martina Weich zum neuen Sozialprestige ihres Berufsstandes

Pflegekräfte wurden allüberall zu Recht als Helden gefeiert – wie fühlt sich das für Sie an – als ehrliche Wertschätzung oder eher der Angst vor Corona geschuldet? Oder sogar ein wenig scheinheilig, weil einfach ohne Pflegekräfte gar nichts geht?

Martina Weich: Hier muss man unterscheiden. Ich glaube, in der Bevölkerung selbst wächst langsam ein Bewusstsein dafür, dass die Pflege ein wichtiger Berufsstand ist, der auch über ganz viel fachliche Profession verfügt. Was die Politik angeht habe ich den Eindruck, dass die Solidaritäts- und Wertschätzungsadressen, die man bei zahlreichen offiziellen Ereignissen im Gesundheitswesen im politischen Berlin oder auch in Wiesbaden an die Pflege richtet, nur Lippenbekenntnisse sind. Meines Erachtens nach fehlt es hier ganz grundlegend am nötigen Respekt und der Wertschätzung, die man der Pflege in Sonntagsreden so gern attestiert.

Sie tragen im St. Vincenz Verantwortung für die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, schon im „normalen“ klinischen Alltag unverzichtbar, jetzt erst recht. Arbeiten Sie auch in den politischen Entscheider-Gremien zur Bewältigung der Corona-Pandemie mit?

Martina Weich: Generell ist die Bewältigung der Pandemie Teamarbeit, da muss eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit sichergestellt sein, sonst kann keine gute Vorbereitung auf eine Krisensituation erfolgen. Unser Krisenmanagement im St. Vincenz hat auf die gute Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Berufsgruppen gesetzt und daher erfolgreich agiert. Auch deshalb fühlen wir uns hier gut vorbereitet.

In den zentralen Planungsstäben, die politisch initiiert wurden, ist aus meiner Sicht die Pflege weiterhin nicht  ausreichend vertreten.

Ganz selbstverständlich wird von der Pflege erwartet, am Bett der betroffenen Patienten zu stehen und gesetzliche Anordnungen umzusetzen – seien es die hygienischen Anforderungen oder auch arbeitszeittechnische Bedingungen. Aber in der interdisziplinären Zusammenarbeit und den grundsätzlichen Vorüberlegungen zu den notwendigen Handlungsdirektiven findet die pflegerische Perspektive auf politischer Ebene zu wenig Berücksichtigung. Die Pflegekräfte werden meistens nur aus zweiter Hand informiert. Am Bett dagegen dürfen sie in der ersten Reihe stehen.

Pflegerische Tätigkeit wird gemeinhin mit viel Emotion, Geduld und Aufopferungsbereitschaft assoziiert, weniger mit professioneller Fachkunde. Woran liegt das?

Martina Weich: Nichts hält sich länger als ein gepflegtes Vorurteil… Die von Ihnen aufgeführten „weichen“ Faktoren sind ja an sich keineswegs schlecht, sie sind sogar eine absolute Grundbedingung für diesen Beruf. Aber sie haben auch dazu geführt, dass das Auftreten der pflegerischen Fachkräfte nicht entschieden genug ist. Wir müssen lernen, unsere gesellschaftliche, vor allem aber auch die interdisziplinäre Akzeptanz klar einzufordern.

Glauben Sie, am Image Ihrer Berufsgruppe wird sich durch Covid 19 langfristig etwas ändern?

Martina Weich: Zu Beginn der Pandemie war in vielen Artikeln von den verbesserungsbedürftigen Arbeitsbedingungen und dem fehlendem Pflegefachpersonal die Rede. Auf einmal war die Unterbesetzung – insbesondere in den Pflegeheimen ein Thema – bekannt ist dieser Personalmangel aber schon seit längerer Zeit. In einer Krise wird dies natürlich eklatant sichtbar.

Die Pandemie bietet eine Chance für den Pflegeberuf. Bonuszahlungen, Mindestlöhne und generelle Besetzungsvorgaben werden ja bereits diskutiert. Politisch muss dies natürlich unterstützt werden. Es kann nicht sein, dass der Arbeitgeber allein in der Verantwortung steht und nicht wie er diese wirklich sinnvollen Maßnahmen finanzieren soll.

Ja, Pflege ist „systemrelevant“ und eine professionelle Pflege eine zentrale Säule im Gesundheitswesen. Es ist längst überfällig, dass sich dies auch in der Finanzierung nachhaltig abbildet.

Welche Ängste hatten Sie zu Beginn der Pandemie?

Martina Weich: Meine größte Angst war, dass die Mitarbeiter die Patienten ohne ausreichende Schutzkleidung versorgen müssen. Diese Situation hat sich zum Glück entspannt. Zusätzlich hatte ich große Sorgen davor, dass auch wir an die Grenzen unserer Kapazitäten kommen und möglicherweise Situationen wie in Italien erleben könnten. Die psychische Belastung und die langfristigen Folgen für alle Mitarbeiter wären weitreichend gewesen. Auch dazu ist es zum Glück bis jetzt nicht gekommen.

Zu Beginn der Pandemie haben sich sehr viele Pflegekräfte gemeldet und zusätzliche Hilfe angeboten. Sei es in Form von Arbeitszeitaufstockungen, Schulungsangeboten oder extrem flexiblen Arbeitseinsätzen. Dafür bin ich den Pflegekräften in unserem Haus sehr, sehr dankbar und weiß diese Unterstützung sehr zu schätzen.

Ich hoffe, dass wir dadurch wie auch durch unser gutes Krisenmanagement auch weiterhin der Pandemie gewachsen sind.

 

Das Interview führte das St. Vincenz-Krankenhaus und schickte es mir als Pressemitteilung zu. 

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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