„Warum müssen Menschen mit Behinderung immer schön geredet werden?“

Es ist der Disability Pride Month, der behinderte Menschen sichtbar machen möchte. Aus diesem Grund habe ich mit verschiedenen Personen über das Thema Inklusion gesprochen. Heute geht es darum, dass zwei Mütter sich dafür einsetzen, dass die Bezeichnung Behinderung nicht mehr so einen negativen Touch hat. 

Sie werden als besonders bezeichnet, als Kinder mit Handicap, Beeinträchtigung oder als Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Zwei Mütter möchten jetzt eine Lanze brechen für die richtige Wortwahl und sagen: „Unsere Kinder sind behindert“. Und damit sie auch gehört werden, haben sie den Podcast „stark.behindert“ an den Start gebracht.

Podcast „stark.behindert“

Simone Braunsdorf-Kremer aus Hadamar hat einen Sohn, der den Gendefekt MOPD1 hat, eine seltene Form von Kleinwuchs. Iris Mydlach aus Hamburg hat einen Sohn, der aufgrund einer Unterversorgung in der Schwangerschaft einen Hirnschaden hat und aufgrund spastischer Cerebralparese im Rollstuhl sitzt. Obwohl die Kinder unterschiedliche Behinderungen haben, kämpfen die Mütter mit ähnlichen Themen und haben sich daher für einen Podcast zusammengefunden, indem sie Inklusionsgespräche führen. Sie stellen sich den Herausforderungen des täglichen Lebens und wollen diese sichtbar machen unter dem Motto: „Starke Mütter. Starke Frauen. Starke Themen.“ Dabei machen sie von Anfang an klar, dass sie über Dinge sprechen, die ihnen wichtig sind. Das wird mal sehr persönlich, da fließen auch mal Tränen. Und dennoch wollen sie kein Mitleid für ihre Situation. Sie wollen zum Nachdenken anregen und dazu beitragen, dass ein Umdenken in der Gesellschaft stattfindet.

Es sind drei Wünschen, die sie zu Beginn äußern. Sie möchten, dass die Dinge beim Namen genannt werden. Sie möchten für ihre Leistungen nicht gelobt werden. Und sie möchten, dass ihre Kinder zuerst als Kinder gesehen werden und nicht zuerst als behinderte Kindern, denn „unsere Kinder sind wundervoll“. Die Begrifflichkeit ist ihnen ganz wichtig und sie haben lange darüber nachgedacht.

Keine „besonderen“ Kinder

Wenn etwas scheinbar beschönigt beschrieben wird, mildernd oder umhüllend ausgedrückt wird, dann spricht man von Euphemismus. „Euphemismen sind für Menschen gemacht, die sich mit dem Wort Behinderung nicht wohl fühlen“, ist sich Simone Braunsdorf-Kremer sicher. Sie fühlt sich jedoch überhaupt nicht wohl dabei, wenn von ihrem Kind als ein „besonderes Kind“ gesprochen wird. In der Gesellschaft hat das Wort Behinderung oder auch behindert sein einen negativen Touch. Es wird zudem auch abfällig oder als Beleidigung benutzt. Das führt dazu, dass sich die Gesellschaft unwohl fühlt, dieses Wort überhaupt zu verwenden.

Doch für Braunsdorf-Kremer ist dies eine Missachtung der Menschen mit Behinderung. Vor allem, weil diese selten nach anderen Wörtern suchen. Dieses Framing entsteht durch Menschen ohne Behinderungen. „Daher möchten wir eine Lanze brechen für dir korrekte Wortwahl“, so Braunsdorf-Kremer, „Wir möchten, dass die Dinge beim Namen genannt werden, dass wir aufhören, in der Gesellschaft etwas zu beschönigen, was nicht beschönigt werden muss.“ Und ein Weg für die beiden Frauen ist dieser, darüber zu sprechen und den Menschen die Ängste sowie Unsicherheiten zu nehmen. Sie ermutigen ihre Zuhörer sogar dazu, ihre Ängste zu benennen und darüber zu reden. Dies hilft beim Enttabuisieren.

Sätze, die sie nicht mehr hören können

In diesem Rahmen benennen sie auch Sätze, die sie nicht mehr hören können. Bei Iris Mydlach zeigte sich die Behinderung des Sohnes erst später, zuerst gab es nur auffällige Entwicklungsverzögerungen. „Ach komm, es wird alles schon irgendwie gut, es wächst sich zurecht“, erinnert sie sich, „ich fühlte mich nicht ernstgenommen“. Simone Braunsdorf-Kremer kennt dieses Gefühl. Bei manchen Sätzen habe sie immer das Gefühl, dass die Gesellschaft ihr Kind  nicht gut findet wie es ist. „Dabei ist es gut wie es ist. Unsere Kinder sind doch perfekt, sie müssen nicht besser werden.“

Daher empfehlen die beiden, auch einfach mal nachzudenken, bevor man etwas äußert. Denn auch wenn manch einer es nicht vorhatte, so sind die geäußerten Worte doch verletzend oder unpassend. Die beiden sind sich einig. Sie wollen mit ihren Kindern und den Bedürfnissen gesehen werden. Aber sie wollen nicht schöngeredet werden. Dabei sei dies manchmal ganz einfach. „Sagt uns Sachen, welche ihr selbst hören wollt.“

Eine Hoffnung legt Simone Braunsdorf-Kremer dabei an die jüngere Generation. Die gehen vorbehaltsloser auf sie und ihre Familie zu, fragen neugierig nach und nehmen ihren Sohn wie er ist. Das findet sie toll und solch einen Umgang wünscht sie sich auch in Zukunft.

Mehr zum Thema Disability Pride Month findet ihr hier.

 

 

 

 

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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