Wenn aus Worten Taten werden – Halbwahrheiten in Zeiten der Corona-Pandemie

Wie sieht es mit Verschwörungstheorien, Halbwahrheiten und Fake-News in Corona Zeiten aus? Was macht dies mit den Menschen und der Gesellschaft? Darüber hielt der HR-Journalist Volker Siefert einen digitalen Vortrag und zeigte auf, wie man damit umgehen kann.

Gerade in der Corona-Pandemie nehmen Halbwahrheiten und Falschmeldungen zu. Was als Demonstrationen gegen die Hygienebestimmungen begann, hat sich zu einer Querdenkerbewegung entwickelt, die in ihren Aussagen dem Staat seine Legitimation absprechen und auch vor extremistischen Aussagen keinen Halt machen. „Fake News und Halbwahrheiten machen auch vor der Region nicht Halt“, so Silvia Scheu-Menzer, Bürgermeisterin in Hünfelden, welche alle Anwesenden an dem Abend begrüßte. Das Interesse an dem Thema war groß, denn über 60 Zuhörer nahmen daran teil. Veranstalter war der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB), Kreisverband Limburg-Weilburg e.V. Susanne Kolb von der Regionalstelle Süd des „Beratungsnetzwerks Hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ moderierte die Veranstaltung, welche mit Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ (VIDETO) gefördert wurde.

Neue Art des Extremismus

Am Anfang der Pandemie gab es Hygienedemos, an denen verschiedene Menschen teilnahmen. Sie kamen aus dem Bereich Esoterik, alternative Medizin. Den Hauptteil, rund 70 Prozent, finden sich in der Mitte der Gesellschaft, welche auch keinen Notstand leiden. Doch wohin die Wut auf das bestehende System führen kann, zeigt sich in der jetzigen Querdenker-Bewegung. Die rechtsextremen Ideologen haben sich diese Bewegung klar zunutze gemacht und vor allem über die Wintermonate hat sich diese Szene klar radikalisiert, wobei die sozialen Medien eine große Rolle spielen. Zeitgleich macht sich bemerkbar, dass viele Sprechweisen in die Alltagssprache Einzug gehalten haben. Insgesamt bewertet der Verfassungsschutz diese Bewegung als neue Art des Extremismus, da sie nicht klar einzuordnen ist. Es wurde eine neue Kategorie dafür geschaffen, wo es um die „Delegitimierung des Staates“ geht.

Volker Siefert beschäftigt sich bereits über zehn Jahren mit dem Spektrum extremer Gruppen. Verschwörungsthemen waren vor Corona in Deutschland eher ein Nischenthema. Es passte eher nach Amerika. Daher begann er seinen Vortrag auch in den USA. Vor allem unter Präsident Donald Trump kamen immer wieder Falschmeldungen auf und er heizte dies auch mit eigenen Falschmeldungen an. Dies führte am Ende dazu, dass es am 6. Januar zum demokratischen Akt der Amtsübergabe zu einem Sturm aufs Kapitol kam. Alle Medien, die nicht so berichteten, wie Trump es wollte, bezeichnete er als „Fake News“. Dies gipfelte dann auch am 6. Januar darin, dass an Wände im Kapitol geschrieben wurde „Murder the Media“ und dass auf der Straße Fernsehtechnik massiv zerstört wurde. Dies sei gefährlich für Journalisten gewesen und zeigte eine große Gewalt gegen Medien.

Querdenker kein Massenphänomen

Diese Verschwörungstheorien sind mit QAnon teilweise über den Atlantik geschwappt, so Siefert weiter. Hier haben sich die Querdenker an den Infektionsschutzmaßnahmen festgebissen, verknüpfen diese aber auch mit zahlreichen Verschwörungstheorien, die ihren Ursprung in Amerika haben. Wobei er feststellen muss, dass die „Kampfbewegung gegen Infektionsmaßnahmen sehr deutsch“, ist. Der Mundschutz ist ein Maulkorb, die Maßnahmen berauben die Menschen ihrer Freiheit, wir würden in einer Diktatur leben. Allerdings räumt Siefert auch ein, dass diese Bewegung zwar sehr laut ist, aber es sich nicht um ein Massenphänomen handelt.
Aus diesen Reihen kommen immer wieder die Rufe nach einem Systemwechsel, nach einem Sturz der Regierung. Für Siefert ist das ganz klar ein Aufruf zum Sturz der Demokratie.

Und ihm fehlt dann aus diesen Reihen die Aussage, wie sie sich Deutschland nach einem solchen Umsturz vorstellen. „Was kommt danach? Ohne Parteien keine Wahlen und wie funktioniert dann die Demokratie?“, so Siefert, „Mir fehlen die Perspektiven aus diesen Kreisen.“ Und er schwenkte nochmal nach Amerika. Vier Jahre Trump hätten ausgereicht, dass aus Taten Worte wurden. Und dies macht ihm Angst. Und wenn man sich genau die Bewegung anschaut, dann werden diese Tendenzen auch hier in Deutschland sichtbar. So entlädt sich auf den Querdenker-Demonstration regelmäßig die Wut gegen Journalisten, es herrsche eine aggressive Stimmung, die sich kurz vor einer Tätlichkeit befindet. „Wir müssen jede Menge Kritik aushalten und das ist okay“, so der Journalist weiter, „aber es gibt einen Unterschied zwischen Kritik oder Aggression und Hetze.“ Wüste Beschimpfungen seien nicht konstruktiv.

Keine Distanzierung zu extremistischen Ideologien

Die Querdenkerszene entstand aus einem Bürgerprotest rund um Michael Ballweg in Stuttgart. Diese Bewegung wurde untermischt mit Menschen aus dem rechtsextremen Milieu. So seien zehn Prozent der Menschen den Reichsbürgern zuzurechnen, welche den Staat leugnen und der Meinung sind, die BRD sei nicht existent. Über die Wintermonate habe sich diese Bewegung radikalisiert und das Vokabular aus dem Reichsbürgertum übernommen. Auch Symbole des Nationalsozialismus finden sich auf den Demonstrationen immer wieder. „Damit werden die tatsächlichen Opfer des Nationalsozialismus verhöhnt“, so Siefert.

Und die Demonstranten distanzieren sich nicht von diesen Menschen, sie widersprechen ihnen nicht. Im Gegenteil, sie dulden und fördern dieses Gedankengut in ihren Reihen. Insgesamt handelt es sich um eine absolute Mischszene von links, esoterisch bis extremistisch, rechts. Dies ist neu und ungewöhnlich. Aber allen ist gemein, dass die Ablehnung der Maßnahmen umschlägt in Staatsverdrossenheit und gegen die Institutionen. Siefert mahnt, die Wortführer im Blick zu behalten, denn diesen traue er nicht über den Weg. Diese seien eine Gefahr für die Demokratie.

Gründung Partei „Die Basis“

Aus dieser Bewegung hat sich auch die Partei die Basis gegründet. Unter den Demonstranten finden sich über 60 Prozent Anhänger, welche diese wählen wollen. Bei den Wahlen in Baden-Württemberg erreichte sie gerade mal ein Prozent. Dies zeigt, dass es sich um keine Massenbewegung handelt. Auch zur Kommunalwahl im Landkreis Limburg-Weilburg trat die Basis an und somit gelingt Siefert der Schwenk in die Region. Dort erreichte sie 0,2 Prozent.

„Es ist eine Splitterpartei“, so der Journalist, „sehr lautstark, aber nicht davor, eine Massenbewegung zu werden.“ Und auch wenn die Menschen sehr laut sind, sprechen sie nicht für eine Mehrheit. Die Radikalisierung mache auch nicht vor der Region Halt. Mit „Limburg steht auf“ gibt es eine Querdenker-Bewegung im Landkreis, welche vom Finanzmanager Manfred Hübner gegründet wurde. Er sei letztes Jahr auf einer Demo in Berlin gewesen und sei dort erweckt worden. Er hatte das Gefühl gehabt, als Bürger etwas tun zu müssen, berichtet Siefert aus einem Gespräch mit Hübner.

Portion Hass auf den Demonstrationen

Auch wenn immer viel von Frieden und Freiheit geredet wird, „kommt bei den Demonstrationen eine Portion Hass herüber“. So zu sehen auf einer Aufzeichnung von einer Kundgebung im März, als die Polizei einen Demonstranten kontrollierte bezüglich seines Attests gegen eine Maske. „Die Stimmung gegen die Polizei war schon angeheizt“, gibt Siefert die Situation wieder. Und auch wenn der Organisator immer sehr höflich herüber kommt, habe er auf der gleichen Veranstaltung geäußert, dass Polizeichefs auch ausgetauscht werden könnten. Im Telegram-Kanal gibt es Aufrufe gegen das System „brenne, brenne Obrigkeit“. Darauf angesprochen, möchte er davon nichts mitbekommen haben und bezeichnet die Berichterstattung des Journalisten am Ende als eine Vernichtung ihm gegenüber. Es zeigt sich, dass die Querdenker extrem dünnhäutig gegenüber Kritik sind, so Siefert. Austeilen können sie kräftig, aber nicht einstecken. „Das passt nicht. Sie stilisieren sich zum Widerstandskämpfer, aber sind nicht kritikfähig.“

Natürlich muss niemand mit den aktuellen Maßnahmen zufrieden sein, aber dafür muss man sich nicht gleich den Querdenkern anschließen. Auch Siefert äußerte Kritik gegenüber manchen Maßnahmen. Jeder hat das Recht, zu klagen, Petitionen einzureichen oder das Gespräche mit den Politikern zu suchen. Dafür muss man in seinen Augen nicht extrem werden. Gerne steht er für Diskussionen und Gespräche bereit, aber es gibt Grenzen. Nämlich wenn zu Gewalt aufgerufen wird oder wenn Beleidigungen fallen. So diskreditieren die Querdenker gerne alle Menschen, welche ihrer Argumentation nicht folgen, als „Schlafschafe“. „Damit werden wir als Tiere eingeordnet, uns wird die menschliche Würde genommen, dass ist Diskriminierung“, so Siefert, „wer gibt denen das Recht, mich als Tier zu bezeichnen?“ Und jeder hat das Recht, dies ganz klar zu äußern.

Im Gespräch bleiben

Mit den Menschen, die einem wichtig sind und die sich zu den Querdenkern hinwenden, sollte jeder das Gespräch suchen und mit ihnen gemeinsam Fakten checken. Möglichkeiten gebe es dazu eine Menge. Man sollte aber auch die Sorgen ernst nehmen. In einem Gespräch sollten beide Gesprächspartner gleiche Redeanteile haben und niemand sollte sich an die Wand quatschen zu lassen. Am Rand stehende Menschen könnten so noch vor dem Abrutschen ins Milieu gerettet werden. „Bleiben sie im Gespräch mit den Menschen, aber nicht um den Preis, ihre eigenen Werte zu verkaufen“, so der Tipp von Siefert. Wenn sich diese Menschen jedoch einem Dialog verwehren, dann dürften sie nicht mehr aus dem Milieu herauszuholen sein.

Am Ende äußerte sich Siefert noch erleichtert in die Richtung, dass es sich nicht um eine junge Bewegung handelt. „Dies gibt mir ein wenig Hoffnung“, so der Journalist. Er glaubt zwar nicht, dass diese Bewegung nach der Pandemie verschwinden wird, aber er sieht auch nicht, dass sie sich zu einer Massenbewegung entwickeln wird. „Es ist eine Wutbürgerbewegung, die sich nach der Pandemie ein neues Thema suchen wird“, ist er sich sicher.

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Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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