„Wir wollen, aber man lässt uns nicht“

Die Kommunalpolitiker waren sich einig – ein Grund für die verschobene Schulfusion der MPS „Goldener Grund“ in Selters und der „Schule im Emsbachtal“ in Niederbrechen sei die geringe Mitarbeit der Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft.

Für die Lehrer der „Schule im Emsbachtal“ waren diese Aussagen sehr frustrierend. Sie machen sich viele Gedanken und die Bereitschaft beider Schulen ist vorhanden, aber sie können eine Fusion auch nicht allein meistern. Sie wünschen sich, dass die Kommunalpolitiker mal an die Schule kommen, um sich anzuschauen, was die Schule vor Ort leistet.

Schulfusion um zwei Jahre verschoben

Im Juli hob der Kreistag seinen Beschluss vom April 2019 auf, die beiden Schulen in Niederbrechen und Selters zum Schuljahr 2020/21 zu fusionieren. Das Verfahren wurde neu eröffnet für eine Fusion zum Schuljahr 2022/23. Und die Kommunalpolitiker machten deutlich, dass die Akteure nun an der Reihe seien, denn eine weitere Verschiebung werde es nicht geben. Madlen Wagner, Jugend- und Sozialarbeiterin der Gemeinde brechen, kann nur den Kopf schütteln: „Es ist frustrierend für uns, wenn wir hören, es passiert nichts. Dabei machen wir viel.“ Es stimme schon, dass Corona mit für die Verzögerungen gesorgt hat. So war es den Akteuren nicht möglich, sich Konzepte an anderen Schulen anzusehen.

Aber es fanden trotz Corona einige Fusionstreffen statt und alle Beteiligten machten sich Gedanken. Beide Schulen haben viel gemeinsam, aber es gebe eben auch Unterschiede, so dass es einen Mediator bedarf. Aber das sei Aufgabe vom Schulamt, einen Mediator zu organisieren. Da sei nichts passiert. Auch fehle die Ausschreibung für die Schulleiterstelle für die neue Verbundschule. „Die Schulleiter sollen eine Idee entwickeln für eine Schule, die sie am Ende eventuell nicht mal leiten werden“, so Tobias Biedert. Dennoch investieren alle Beteiligten Zeit, um Ideen aufzustellen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Sie begrüßen jetzt aber die Verschiebung aufgrund von Corona, um eine solide Konzeptionierung auf die Beine zu stellen.

Gedanken zur Inklusion

Neben dem Ärger über die getroffenen Aussagen im Kreistag möchten die Lehrer die Gelegenheit nutzen, aufzuzeigen, was sie an der Schule umsetzen und wie sie in Niederbrechen Schulgemeinschaft leben. So ist Inklusion ein großes Thema in der Schule, denn mit zehn Prozent Inklusionskindern haben sie einen recht großen Anteil. Und für alle war klar, dass diese nicht einfach nur mitlaufen sollen. Tobias Biedert wollte ein Angebot für diese Schüler machen, welches nicht auf eine Bewertung oder einen Wettbewerb hinausläuft. Solche bestehenden Angebote wie Fußball wurden vorher von diesen Schülern nicht angenommen und sie zogen es vor, auf dem Schulhof abzuhängen. Inzwischen gibt es drei Angebote ohne diesen Wettbewerbscharakter und ohne schulischen Charakter – eine Kooperation mit dem Hof Gnadenthal sowie mit dem Heidehof in Villmar und eigene Hühner auf dem Schulgelände. Diese Angebote können alle Kinder nutzen.

Für die sozial-emotional schwierigen Kinder sind dies aber Angebote, wo die Kinder so genommen werden, wie sie sind. Zudem können sie positive Erfahrungen sammeln, werden in ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt. Zudem werden diese praktischen Erfahrungen mit theoretischen Lerninhalten in der Schule gekoppelt. „Die Ganztagsschule erhält damit keinen negativen Touch von ‚Ich muss in der Schule bleiben‘, sondern es ist auf einmal richtig toll, den Nachmittag in der Schule verbringen zu dürfen“, so Biedert, „die Schule erhält einen ganz anderen Stellenwert bei den Kindern.“ Die Kinder werden in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und die Lehrer unterstützen sie dabei, einen guten Abschluss zu machen. „Dies ist jedoch nur möglich, wenn die gesamte Schule hinter der Idee steht.“

Vier Hühner im Atrium

Das Projekt der Hühner im Innenhof koordiniert Annika Neuhoff. Es ist das erste Projekt dieser Art an einer Schule im Landkreis. Vier Hühner leben auf 140 Quadratmeter mitten in der Schule. Die Kinder müssen Verantwortung für die Tiere übernehmen, sie füttern und den Stall säubern. Derzeit ist dies ein Angebot für die Grundschüler, aber auch die größeren Schüler zeigen Interesse an den Tieren. Und die Tiere geben etwas den Kindern zurück. „Die Tage habe ich einen Jungen beobachtet, der ewig lang ein Huhn gestreichelt hat“, erinnert sich Biedert. Neuhof unterstreicht, dass die Tiere Ruhe vermitteln und positive Gefühle in den Kindern auslösen können. Zudem ist dies auch ein Weg, die positiven Gefühle für die Schule bei den Kindern zu festigen.

Die Arbeit mit den Tieren verbinden die Lehrer auch mit klimarelevanten Themen. „Wir müssen nicht demonstrieren gehen, behandeln aber die Themen im Unterricht“, so Benjamin Borsch, dem bewusst ist, dass dies ein aktuelles Thema ist, welches auch die Jugendlichen beschäftigt. Diese drei Projekt mit den Tieren sind jedoch nur ein kleiner Teil des umfangreichen Angebotes an der Schule. Insgesamt haben die Kinder die Wahl aus über 20 AG-Angeboten für den Nachmittag.

Schule im Emsbachtal Hühner
Annika Neuhof mit den Hühnern im Atrium

Hürden nehmen

Thomas Neuhoff gewährt einen Einblick hinter die Projekte. Bis die Schule eine neue AG anbietet, steckt viel Arbeit drin und nimmt die Lehrerschaft auch einige Hürden. Wenn eine Idee entsteht, fragt die Schule beim Kreis an, ob eine Durchführung möglich ist. Dazu erstellen die Lehrer ein Konzept. Natürlich freuen sich die Lehrer, wenn die Schüler eine Idee gut annehmen. Es findet fortlaufend eine Evaluierung der Ideen statt. „Je mehr gute Konzepte wir haben, umso mehr können wir als Schule auch überzeugen“, so Neuhoff.

Aber die Schule ist auch an die Grenze des Machbaren angekommen, denn um ihre Konzepte umzusetzen, benötigen sie dringend eine stabile Finanzierung. „Unser derzeitiger Knackpunkt ist, dass ich mit den Leuten keine Verträge machen darf“, so Madlen Wagner, „ich kann Übungsleiterverträge für eine AG die Woche machen. Das ist zu wenig.“ Derzeit werden solche Angebote finanziert, indem die Lehrer weniger Lehrerstunden machen. Dabei gebe es einen recht einfachen Weg – die Profilstufe drei für Ganztagsschulen. Für die Grundschule haben sie diese bereits, aber noch nicht für die Sekundarstufe. „Wir wollen, aber man lässt uns nicht“, so Wagner. Dies ist tatsächlich eine politische Entscheidung. Mit dieser Profileinordnung stünden der Schule ganz andere Möglichkeiten zu. Doch 2018 entschied der Kreistag, die Schule im Emsbachtal nicht ins Profil 3 aufzunehmen.

Wünsche des Schulteams

Und so sind es verschiedene Wünsche, die bei der Schulfusion eine Rolle spielen. Sie wünschen sich die Aufnahme ins Profil 3. Weiterhin ist ein Konzept für beide Schulen notwendig. Dies fällt für die Lehrer damit zusammen, dass als erstes die Schulleiterstelle ausgeschrieben werden muss, damit mit dem Schulleiter das gemeinsame Konzept entwickelt werden kann. Die Schüler und vor allem auch die Inklusionsschüler müssen gleichmäßig auf beide Schulen verteilt werden, damit keine der beiden Schulen einen negativen Stempel erhält. Parallel dazu bedarf es auch der gleichen Anzahl an Förderlehrern bzw. genügend Förderlehrer für die Anzahl der Kinder.

Und sie wünschen sie eine Gleichbehandlung bei schulpolitischen Entscheidungen im Kreis. „Ich möchte nicht das Gefühl haben, dass Schulen unterschiedlich behandelt werden. Dass ist das falsche politische Signal“, so Neuhoff. Und Biedert ergänzt: „Wir fühlen uns als Lehrer abgehängt, wie fühlen sich dann unser Schüler?“ Und Benjamin Borsch fügt am Ende noch hinzu:“ Wir haben Spaß an unserer Arbeit, aber manchmal sind auch wie desillusioniert.“

Info Ganztagsschule Profil 3

Schulen mit einem dem Profil 3 entsprechenden Ganztagsangebot bezeichnet man als Ganztagsschulen. Diese bieten an fünf Tagen pro Woche in der Zeit von 7:30 Uhr bis 16 Uhr oder 17 Uhr Betreuung, Unterricht sowie verpflichtende Ganztagsangebote für alle ihre Schüler:innen oder für einen definierten Teil ihrer Schülerschaft an. Die Teilnahme an den zusätzlichen Angeboten ist für die Schüler:innen ganz oder teilweise verpflichtend. Sobald Eltern ihre Kinder zu freiwilligen Angeboten angemeldet haben, besteht auch für diese Kurse und Projekte Anwesenheitspflicht. Zu den Angeboten zählen Förderkurse, Wahlangebote sowie den Unterricht ergänzende und erweiternde Arbeitsgemeinschaften, die Betreuung von Hausaufgaben und Stillarbeit sowie die Teilnahme an offenen Sport- und Spielgruppen. Mehr zu den Profilen auf der Seite vom Hessischen Kultusministerium.

Steady

 

 

Heike Lachnit

Ich bin freie Lokaljournalistin in der Region um Limburg. Auf HL-Journal schreibe ich über die Themen, die nicht immer in der Zeitung Platz haben oder die mir am Herzen liegen.

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